Mitten in der dunklen, kühlen Jahreszeit entlässt das Dark Ambient-Projekt Zero Degree seinen zweiten Longplayer in das erwartungsvolle, anspruchsvoll-verwöhnte Publikum. Fast drei Jahre Zeit hat sich Mastermind nihil für "The Inner Realm" genommen. Lediglich mit der drei Tracks umfassenden MP3-Single "Rot" kredenzte er 10 Monate nach Erscheinen des selbst betitelten Debüts ein weiteres Schmankerl, um der Anhängerschaft die Wartezeit zu versüßen. Doch jetzt, in nebelverhangenen Tagen und frostdurchwirkten Nächten, kommt "The Inner Realm" gerade rechtzeitig, um die frierende Seele zu wärmen. Nicht mehr in schneeweißem Faltkarton präsentiert sich nun die Neuveröffentlichung, sondern im kristallklaren Jewelcase mit abgerundeten Ecken und einem schlichten, abstrakt-modernen Coverartwork, das in seinem Gelb-Schwarz aggressiv und beruhigend zugleich wirkt. Die hohen Erwartungen an dieses Album darf man nach einem exzellenten Debüt getrost beibehalten – schon das erste Durchhören offenbart atemberaubende, einzigartige Klangcollagen und -szenen, welche die Intensität und Kreativität des Vorgängers noch einmal zu übertreffen vermögen. Majestätisches Drumming, hypnotische Ethno-Voices und sanft dahin gleitende Synthieflächen, wohltuend wie warmes Wasser, eröffnen die Reise ins Innere, welches sich uns sodann in Form von facettenreichen Bildern und Szenen zeigt: von tiefschwarzen, endlosen Höhlen und gleichzeitig hell loderndem Feuer, oder einem namenlosen, unendlichen, wohltuendem Raum, der Geborgenheit und Ruhe vermittelt, in dem keine Zeit und keine Erinnerung existiert. Sanft und kaum merklich gleiten die Titel ineinander über, dichte, sphärische Klangteppiche ranken sich um pulsierende, vibrierende (Tribal-)Rhythmen und beschwörende Gesänge, die mystisch-rituelle vibes und Gänsehaut erzeugen. Lässt die Realität im irdischen Reich in der Regel keine physische Schwerelosigkeit zu, vermag „The Inner Realm“ diesen Zustand mühelos auf die geistige, gefühlte Ebene zu transportieren und gleichzeitig einen immanenten Drang nach körperlicher Bewegung auszulösen. Soeben noch ekstatisch aufgeladen ("Descent"), glaubt man sich nur wenig später entkörperlicht und transzendent ("Luminary" und "At The Shores Of Oblivion"). Fast wie ein Fremdkörper in diesem Werk aus einem Guss wirkt hingegen das humorig betitelte "Do Androids Dream Of Electric Sheep", das vielleicht nicht ganz zufällig einer lieblichen, fast schon kindlich anmutenden Spieluhrmelodie gleicht, begleitet von einem treibenden, aber sanften Rhythmus. Entsprechend leise dosiert, dürfte so manches kleine Träumerchen dabei in seiner Bettstatt friedlich einschlummern. Einen perfekten Abschluss erfährt das herausragende Album durch die Arbeit von Labelkollege Spherical Disrupted alias Mirko Hentrich. Seine Version des herausragenden, dunkel-erhaben fließenden "Vigil Coma" ist nur Nuancen kantiger, wuchtiger und rauer als das Original und nimmt ihm so nichts von seiner düsteren Schönheit. Zero Degree hat mit "The Inner Realm" ein sehr beeindruckendes, faszinierendes und bewegendes Album geschaffen, das Liebhaber von "intelligent, dark ambient dance music", oder, wie es der Künstler treffend selbst ausdrückt, "music for closed eyes", garantiert zu fesseln vermag.