Okay, ich musste mich durch dieses Album quälen, also quält ihr euch bitte sehr durch meinen Mammuttext.

Der Name Xasthur ist so untrennbar mit dem amerikanischen Black Metal und insbesondere dem Subgenre DSBM verbunden, wie Madonna mit Pop und Altersverdrängung. Und Xasthur war über 15 Jahre Malefic und Malefic war Xasthur – die Hand voll Gastmusiker zählen nicht. Und Malefic schwemmte von Kalifornien aus eine düstere Ursuppe (be)rauschenden Black Metals in die Welt, die ihm in Szenekreisen einige Anerkennung einbrachte, auch wenn sich auf jeden Fan mindestens ein Kritiker fand. Auf den acht Alben und zahlreichen Demos, EPs und insbesondere Splits durften Fans etwas hören, das meist klang, als hätte Malefic das Album an einem Ende eines langen Tunnels eingespielt und -gekreischt und das Mikro wäre am anderen Ende des Tunnels positioniert worden. Dazu kamen Texte von astraler Schwurbelei, düsteren Dingen, Depressionen und Suizid – und so ging der lebensfrohe Reigen bis hinein ins Jahr 2010. Dann erkannte Malefic, dass er nun nicht nur mit seinem bürgerlichen Namen Scott Conner angesprochen werden möchte und dass reale Interviews gar nicht so schlimm sind. Auch Xasthur und den Tunnel Black Metal wollte er hinter sich lassen um etwas ganz Neues zu schaffen unter dem Namen des ersten Xasthur Albums: Das Projekt Nocturnal Poisoning bot fünf Jahre und drei Alben lang einen folkigen Sound, sehr reduziert auf Akustikgitarren und an Americana und insbesondere Bluegrass erinnernd. Aber anders als Xasthur, das als Projekt einen Namen, eine Reputation und eine Fanschar hatte, fand die neue Spielwiese deutlich weniger Gehör. 2015 dann entschied sich Conner, als Scott Conner und Folkmusiker wieder unter dem Banner von Xasthur weiterzumachen. Mit zwei Mitmusikern und Live-Auftritten. Sachen gibt’s. Und heute, weitere sechs Jahre später, kommt das erste Album von Xasthur (quasi 2.0) von Prophecy Productions gelabelt in die Läden. Juhu?

Wie es genau zu all diesen Entscheidungen, Rückbesinnungen und Meinungsänderungen kam, darf der geduldige Leser gerne selbst in all den Interviews versuchen nachzuvollziehen, ich kann und will mich hier nicht auf klare Aussagen festlegen. Denn Scott Conners Interviews erinnern mich an die Aussagen zweier anderer großer Schwurbler des Genres: Ähnlich wie René Kanwulf/Ash Wagner und Varg Greifi/Count Grishnackh Vikernes ist sein Erzählen eine hysterische Mischung aus dicke Hose und Inkonsequenz. „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ Mich würde nicht wundern, wenn das nächste Album wieder Black Metal wäre, Conner aber mit neuem Pseudonym und Xasthur mit neuem Logo unterwegs in Erscheinung treten würden. Und mit der Aussage, dass das schon immer so geplant war und die Leute ihn nur nicht verstehen würden. Ich persönlich halte mich deswegen genervt vom Künstler Conner fern und belasse es beim reinen musikalischen Kontakt und frage mich: Kommen die ‚Victims of the times‘ aus ihrer Opferrolle heraus und setzt ihnen Conner ein musikalisches Mahnmal?

Ich hatte Xasthur seit der ‚Subliminal Genocide‘ 2006 nicht mehr verfolgt. Zu gering waren mir die musikalischen Entwicklungen und zu selten hatte ich Lust, diese röhrende Kakophonie zu hören. Der Sound hatte was, ja, es fanden sich auch immer wieder Stücke, die finster in den Abgrund zogen, aber meist fehlte mir die emotionale Bindung – es war halt finsteres und immergleiches Lärmen (und ich halte mich eigentlich für einen Freund des Genres). Deswegen war ich 2019 umso positiver überrascht, als ich einen Mitschnitt vom Instrumental „Outlander“ sah: Conner, in weiser Voraussicht auf das Folgejahr bereits mit Tuch maskiert, spielte hier mit zwei Mitmusikern auf Akustikgitarren wunderbar harmonisch ein feines Stück. Kein großes Kino, aber sehr gute amerikanische Folklore – ich hatte Lust auf mehr. Dann erhielt ich die Promo und sah als erstes das Coverartwork – ich halte es für das Beste am Album: Xasthur goes Systemkritik, das Bild tragisch, die Schmutzflecken dazu und der handgeschrieben wirkende Albumtitel. Düster, die Kehle zuschnürend: Ich wollte das Album unbedingt hören.

Nach dem ersten Titel war meine Vorfreude noch nur ein wenig geschmälert: „Same old suspects“ ist wie eine Fiebertraum-Version von „Outlander“ mit leierndem Gesang. Conner, der alle Musik und Texte geschrieben hat, lässt seinen Gefährten Chris ans Mikro, da er von sich selbst sagt, dass ihm Klargesang nicht liegt. Chris aber eigentlich auch nicht, seine Stimme erinnert eher daran, dassman im (Neo) Folk kein Gesangswunder am Mikro braucht, sondern authentische und nicht ganz sicher die Töne treffende Farblosigkeit. An einen Fiebertraum erinnert mich das Stück deswegen, weil der Klang nun mehr nach Acid Folk klingt und die drei Herren die Akustikgitarren nicht mehr synchron spielen. Sie spielen alle anscheinend von einander getrennt vor sich hin. Vielleicht ein etwas dissonanter Opener, um abstoßend zu wirken und damit gut auf das unbequeme Thema einzustimmen? Mitnichten. Es folgen quasi 21 Versionen dieses Titels. 69 verdammt lang(weilig)e Minuten. Ich habe mir ‚Victims oft he times‘ nun zwei Wochen gegeben. Habe es immer wieder neu begonnen, habe immer wieder Titel neu gestartet, nachdem sie verklangen waren, weil ich direkt vergessen hatte, wie sie klingen. Ich habe es meist bis zur Albumhälfte geschafft, fünf mal gelang mir sogar der Gesamtdurchlauf. Es war jedes Mal hart, denn was hier geboten wird ist keine schöne Herausforderung. Keine spannende. Das Album sägt an meinen Nerven mit seinem schiefen Sound, dem immergleichen Gesang und den immergleichen Melodien. Nein, wirklich. Auf dem Album verstecken sich ungefähr vier Melodien, die stetig neu gespielt werden mit minimalen Abweichungen. Manchmal werden die drei nebeneinander (nicht zusammen-) spielenden Gitarren von etwas Keyboardgewaber unterstützt, oder einem der Musiker rutscht die Hand auf der Gitarre aus und man kann es als Percussions durchgehen lassen. Oft folgt auf einen vier- bis fünfminütigen Song mit Gesang ein zweiminütiges Instrumental, das häufig klingt, als ob die drei Herren improvisieren. Insgesamt würde ich behaupten, dass viele Plings und Plangs, die man hier wieder und wieder hört, eher durch Zufall ihren Weg aufs Album fanden. Und es sind verdammt viele Plings und Plangs, die man da hören muss. Sie verfolgen mich bis in meine Träume. Zusammen mit dem abzählreimartigen Gesang, der auch oft so wirkt, als würde Chris beim Singen noch überlegen, welche der vier Melodien er wohl dieses Mal zum monotonen Gitarrenfizzeln anstimmen wird. Er scheint auch nur eine Art zu kennen, wie man singen kann: ruhig, gelangweilt und gleichzeitig bedeutungsschwanger und niemals, wirklich niemals berührend. 69 verdammte Minuten immergleichen Geleiers. Ja, man kann es als Sinnbild für die ‚Victims oft he times‘ sehen, denn egal, warum sie in ihre bekackte Situation geraten sind, es ist für alle ähnlich scheiße. Ja, kann ich verstehen. Aber muss man deswegen einen musikalischen Bildschirmschoner abliefern? Xasthur klingen wie eine Amateurkapelle, die sich in einer trüb-gelb-beleuchteten Spelunke in den Bayous der Südstaaten einspielt und improvisiert, bevor die Gäste auftauchen und sie richtige Musik spielen.

In meinen Ohren hat Conner einen falschen Schluss gezogen aus seinem bisherigen Erfolg: Sein Black Metal lebte von der steten Wiederholung, eine repetiven Melodiestruktur, von einer finsteren Monotonie in teils überlangen Titeln verbaut, die man kaum voneinander unterscheiden konnte. Selbst die einzelnen Alben ähnelten einander – und das war okay, denn davon lebt DSBM häufig, ob man das nun gut findet oder nicht (und häufig finde ich genau das gut). Denn DSBM bedetuet das Erstarren in der trostlosen Hoffnungslosigkeit der eigenen Existenz. Folk jedoch ist ein ganz anderes Genre und selbst wenn sich Wiederholungen im Acid Folk oder Bluegrass auch immer mal wieder abzeichnen, so kann man nicht mit klarem Gesang und gut heraushörbarem Gitarrenspiel den gleichen Effekt erreichen wie mit bis zur Unkenntlichkeit verzerrtem Kreischen und einem Klangbrei harter Knüppelei. DSBM erklärte die Amateurhaftigkeit zum Prinzip. Beim Folk wirkt es amateurhaft. ‚Victims oft he times‘ hätte in meinen Ohren sogar besser funktioniert, wenn alle 22 Titel zu einem einzigen Stück zusammengefasst worden wären. Oder vielleicht zu vier Stücken, um allen Melodien Tribut zu zollen. Es wäre immer noch kein gutes Werk geworden, aber immerhin ein waberndes Moloch schwer erträglicher Systemkritik. Als einzelne Titel mit jeweils eigenem Namen sind die Stücke aber belanglos, farblos, sie stoßen irgendwann auf und sind in der Masse einfach nur unbegreiflich und nervend. Beim nächsten Mal bitte vorher entscheiden, Scott Conner: Black Metal oder Songwriting!

Bisheriger Tiefpunkt meines bisher genialen Musikjahres 2021.

 

Sammelhasen aufgepasst, hier lockt ein Schmankerl: Wem meine Zeilen nicht reichten und wer zu viel Geld hat, der kann in das Artbook investieren: Nicht nur gibt es dort drei weitere Titel auf die Ohren, bei denen ich mich nur fragen kann, inwieweit sie die Qualitätsstandarts wohl unterschritten haben, um es nicht auf das reguläre Album zu schaffen. Nein, es gibt auch noch einen weiteren Silberling mit allen Songs (bis auf Nummer 25, Gott weiß warum) als ungemixte und rohe Instrumentalversionen. Okay, das mit dem Instrumental verstehe ich, aber was habe ich gehört, wenn die rohe Unmixtur erst noch folgt?

 

Xasthur

Victims of the times

 

09.07.2021

Prophecy Productions

 

https://xasthurband.bandcamp.com/album/victims-of-the-times

 

01. Same old suspects
02. Dust of what was
03. Mirror in the face
04. Unsolvable puzzles
05. Fairy tale ideologies
06. Medieval acid folk
07. Stars amongst failures
08. Reality is the unknown
09. Estranged
10. Postponing my funeral
11. Static of uncreativity
12. A future to fear
13. Ghost of an excuse
14. Mirrormindfuck
15. Benefits of dying
16. Victims of the times
17. Digital beast
18. Home is nowhere
19. Allegiance to the meaningless
20. Justify your end
21. In search of sanity
22. Voluntary prisoners