Die folgende Review schreibt ein großer Wumpscut Fan: Seit nunmehr 19 Jahren existiert mit Wumpscut eines der langlebigsten Elektro-Projekte aus hiesigen Landen. Und wie es sich für eine solche Institution mit inzwischen 12 regulären Alben (plus einigen Eps etc.) verhält, durchleben die Veröffentlichungen in ihrer Qualität Schwankungen. Und eben auch immer wieder Höhe- und Tiefpunkte. In meinen Ohren hat Rudy Ratzinger mit dem vorliegenden Werk den dritten Tiefpunkt in der Geschichte von Wumpscut veröffentlicht (Böses junges Fleisch und Evoke als die beiden anderen). Vor zwei Jahren zeigte „Schädling“ deutlich, dass der kauzige Herr aus Landshut nicht nur in der Vergangenheit Großes geschaffen hatte, sondern eben auch jetzt noch Alben herausbringen kann, die fast auf gesamter Länge überzeugen und in einzelnen Tracks richtig umhauen können. Das letztjährige „Fuckit“ reihte sich dann schon eher wieder in die Liste der eher durchschnittlichen Veröffentlungen aus dem Hause Wumpscut ein, die zugegebenermaßen natürlich mit den Jahren länger wird. Wieder ist ein Jahr herum und nun habe ich „Siamese“ bei mir im Haus und es will einfach nicht hinhauen. Doch zu den einzelnen Tracks: „Falling from lucifer's grace“ soll mit seinen Gitarrensamples gewiß an alte „Black death“ Zeiten anknüpfen und knallt auch recht gut. Hinter dem schönen Grundgerüst verbirgt sich aber eine reguläre und recht langweilige Melodie, die so gar nicht zu den punkigen Beats und und Schnoddergitarren passen will. Weiter geht es mit einem Track, der mir wiedereinmal klar macht, dass ich höchstwahrscheinlich nicht Rudy's Witze verstehe: denn für mich klingt „Boneshaker baybee“ nach KindergeburtstagsElektro und die Sequenzer im Hintergrund hören sich schwer nach „No Limit“ von 2 Unlimited. Soll wahrscheinlich auch so klingen und witzig sein – ist aber eher nervig und fad. Dann ein Lichtblick: der Titeltrack zeugt nicht nur einmal mehr von Rudy's Liebe zu Death in June (die Babyschreisamples sind die selben wie in „Fog of the world“) sondern ist ein wunderbares, langsames und tieftrauriges Lied. Wenn doch das Album insgesamt nur halb so gut wäre wie dieser Song... Doch „Ziribit“ erweist sich als ein Instrumentalstück, wie man sie so oft auf Wumpscutalben findet. In diesem Fall ist der Track ansich guter Durchschnitt, die nervigen Hunde-Bell-Samples nerven aber mit der Zeit gar fürchterlich. „Auf Wiedersehen im Massengrab“ ist dann mein persöhnlicher Tiefpunkt – ein fader langsamer Track und ein in die länge gezogenes Singen des Titels – das klingt so fürchterlich plump, dass ich mir sicher bin, hier wieder auf einen Witz von Rudy gestoßen zu sein. Ich verstehe ihn nur nicht. Mich nervt es nur. Und „Teufelszeug“ macht es nicht besser – sogar ASP machen da anspruchsvollere Texte. Immerhin ist die Melodie besser als bei „Massengrab“. „Bambam“ soll wohl cool klingen. Soll... Doch es ist nicht alles zu spät: „Loyal to my hate“ ist zwar kein Knaller, aber immerhin wieder oberer Durchschnitt und geht gut in die Gehörgänge. „Blood Stigmata“ ist dann endlich der zweite Grund, weswegen ich das Album nicht sofort einmotten werde: ein schöner treibender Song der nicht konventionell klingt und durch seine monotone Melodieführung einen schönen hypnotisierenden Effekt hervor zaubert. Mein persönliches Highlight. „Killuh“ erinnert zum Abschluss an „Your last salute“ von der Bone Peeler, kommt aber nicht an dessen Qualitäten heran. Ich bin enttäuscht von „Siamese“. Ich bin absolut nicht überzeugt. Aber ich werde weder vom Ende des Projektes sprechen noch alte Zeiten glorifizieren. Mit Alben wie „Wreath of barbs“, „Cannibal Anthems“ und eben „Schädling“ hat Wumpscut immer wieder gezeigt, dass ein eher negativ zu wertendes Album nicht alles beenden wird. Und wie soll man auch in 19 Jahren immer nur Sahne produzieren können? Das schafft kein Musikprojekt – egal über welche Musikrichtung wir reden. Ich bin gespannt, wann Wumpscut wieder auf die Füße fallen werden und wie das dann klingen wird. Ich bin mir aber sicher, dass es irgendwann geschehen wird. Denoch kann ich „Siamese“ nicht wirklich empfehlen und muss auch überzeugten Fans mindestens einen Probedurchlauf anraten.