Können Erwartungen an und Vorfreude auf ein neues Album zu groß sein? Definitiv. Und jeder Musikliebhaber kennt das sicherlich – die mit der Ankündigung eines neuen Albums sich aufbauenden Hoffnungen und mentalen Maßstäbe, an denen sich das fertige Werk dann messen muss und die oft unerreichbar hoch gelegt wurden. Als ich 2019 die Whispering Sons und ihr Debüt aus dem Vorjahr entdeckte, verliebte ich mich mit Haut und Haar in den Sound der Belgier. Instrumental eine unterkühlte Behäbigkeit, in der stets eine lauernde Unruhe schwelte, und damit im besten Sinne eine moderne Version des Sounds, den ich bei Joy Division und Konsorten immer liebte und lieben werde und gesanglich eine eigenwillige aber in meinen Ohren wundervolle Erfahrung: Fenne Kuppens tiefer, seltsamer, androgyner und extrem auffälliger Gesang eroberte mein Herz im Sturm. ‚Image‘ ist ein großartiges Debüt und, oh Wunder, setzte einen fast unerreichbar hohen Maßstab an ein eventuelles Nachfolgewerk. Willkommen bei ‚Several others‘.

Ich versuche, mich immer wenigstens um etwas Objektivität zu bemühen, aber beim Sound dieser Band und ganz besonders beim Gesang werde ich so weich und euphorisch – ich entschuldige mich jetzt bereits dafür. Arbeiten wir also als erstes Sound und Gesang ab: Wem die Band bereits auf dem Debüt gefiel, der wird sich trotz deutlicher Entwicklungen sehr sehr wohl fühlen. Fenne singt zwar mehrheitlich monoton und unbeeindruckt wirkend, jedoch schleicht sich hier und da etwas mehr Variabilität in ihren Gesang, schön zu hören im sanften „Aftermath“. Die größten Entwicklungen finden sich aber im Instrumentalen: Nicht nur ist die Band um deutlich mehr Abwechslung in den Stimmungen der einzelnen Songs bemüht, sie wagen auch den schritt zu elektronischeren Klängen, die nun im Wechselspiel zum eher traditionellen Post Punk stehen – lauscht einmal der finster-bedrohlichen Nummer „Flood“ und bekommt keine Gänsehaut. Mir fällt es schwer. Oder die ergreifende Leere, die nach dem Genuss von „Screens" bleibt. Stets sind die Whispering Sons etwas passiver, düster und kalt in ihrem Sound und Aufbau der Songs. Aber trotz ähnlicher innerer Motive ist die Umsetzung in jedem Song für sich besonders – ein Traum.

Gut, vom Gesang und Sound bin ich also begeistert – ist ja kein Wunder, ich mochte das Debüt sehr. Aber wie steht es um die hohen Erwartungen an das Songwriting? In meinen Ohren verdammt gut, vielleicht sogar in Teilen besser als beim ersten Album: Bis auf einen nur soliden Abschluss in Form von „Satantango“ und „Surgery“, die mich weitaus weniger bewegen als der Rest des Albums, ist jeder Song sehr gut. Wirklich. Also in meinem Kopf ganz großes Kino. Verliebt habe ich mich insbesondere in den Opener mit seiner dramatischen Stimmungssteigerung, in das bedrohliche und oben bereits erwähnte Elektronikstück „Flood“ und in die treibende Nummer „Surface“, zu der ich einfach nur tanzen möchte. Auch das erwähnte „Aftermath“, ich möchte fast von einer Ballade sprechen, ist ganz ergreifend – gerade hier fällt auf, dass die Whispering Sons den Mut beweisen, die wirklich eigenwilligen Vocals sehr klar produziert zu lassen – andere Bands hätten hier auf mehr Fülle, mehr Echo gesetzt. So aber wirkt dieses singende Wesen einsam und zurückgelassen, die Pianomelodie und die Geräusche sind eher Ausdruck der Stimmung als Begleitung.

Öhm, ja, scheint mir gefallen zu haben, oder? ‚Several others‘ ist das Nachfolgewerk, das ich mir insgeheim gewünscht aber mit dem ich nicht zu rechnen gewagt hätte. Abwechslungsreicher, weiterentwickelt und aufregend, ohne die Verkaufsargumente anzutasten. Ich bin hin und weg und kann mein persönliches Glück kaum fassen. Nun muss es nur noch wieder Konzerte geben, damit ich die Belgier endlich auch live erleben darf – bis dahin ist aber dieses geniale Zweitwerk absolut erfüllend. Wie schloss ich die Kritik zum Debüt? „Kaufen. Erwähnte ich das?“

 

Whispering Sons

Several others

 

18.06.2021

PIAS

 

https://whisperingsons.bandcamp.com/album/several-others

 

01. Dead end
02. Heat
03. (I leave you) wounded
04. Vision
05. Screens
06. Flood
07. Surface
08. Aftermath
09. Satantango
10. Surgery