Dass Mittelaltermusik weitaus mehr sein kann als tumber, lärmender Dudel-Sack-Schweinerock beweist aktuell die Gruppe VocaMe mit ihrem Debütalbum „Kassia“. Das Ensemble unter der musikalischen Leitung von Michael Popp (Estampie) formiert sich aus den renommierten Sängerinnen Sigrid Hausen (Estampie), Natalia Lincoln (Unto Ashes), Sabine Lutzenberger (Helium Vola), Sarah M. Newman (Estampie), Elisabeth Pawelke (Faun) und Gerline Sämann. Kassia war eine byzantinische Äbtissin und gilt als die früheste Komponistin des Abendlandes. Sie lebte bereits 300 Jahre vor Hildegard von Bingen und wäre beinahe Kaiserin des oströmischen Reiches geworden, hätte sie den Kaiser nicht durch einen kecken Wortwitz verschmäht. So wählte Kassia einen anderen Weg für sich und gründete ein Kloster, in dem sie ihre geistigen Fähigkeiten voll entfalten konnte. Aus den knapp fünfzig Hymnen, die man Kassia heute zuschreibt, haben sich VocaMe achtzehn Kompositionen angenommen und ein Album eingespielt, das abwechslungsreicher und faszinierender kaum hätte ausfallen können. Historische Instrumente kommen hier nur schemenhaft zum Einsatz, vielmehr dominieren die prachtvollen Chöre und schwebenden Soli. Die sensiblen, schlichten Arrangements, die stilistische Vielfalt und vor allem die enorme Schönheit der Stimmen verleihen den alten Hymnen ein ungeheures Maß an Authentizität, Farbigkeit und Intimität und entführen in ungeahnte Klangwelten. Wer also die Plastik-Acts und Grufti-Schlager im aktuellen Gothic-Geschehen satt hat, dem sei dieses Werk voll aufrichtiger Emotionalität und Tiefe wärmstes ans Herz gelegt!