Es passiert mir immer wieder. Ich lasse mich einnehmen von Werbetexten. Im normalen Leben wie bei Musikveröffentlichungen. Dabei müsste man meinen, dass irgendwann ein Lerneffekt einsetzt. Nach dem erneut besten Album der Bandgeschichte oder der neuen Electro-Sensation aus Bhutan oder woher auch immer. Pustekuchen. „Für Liebhaber von NIN, Placebo und IAMX“ wirbt die Anzeige zum Album „Electric Tree“ von Velvetcut und schon ist der Minne aktiviert. Und liest wieder mal das Kleingedruckte nicht. Zum Beispiel, dass es Album Nummer drei der Finnen ist und diese musikalisch bisher nicht wirklich in der Nähe von IAMX zu finden waren. Ist aber auch egal. Der Opener hält in der Tat was versprochen wurde. „Climbing Up The Electric Tree“ klingt sehr nach Nine Inch Nails und gefällt, auch wenn Sprachsamples von George W. Bush mittlerweile durch sein sollten. Tomi Asuintupa baut mit diesem Song wunderbar Spannung auf. Die Erwartungen sind jetzt wirklich hoch und umso größer ist die im Anschluss einsetzende Ernüchterung. Mit „Pulse Of The Earth“ scheint ein anderes Album zu beginnen. Die Elektronik, die im Opener noch eine große Rolle gespielt hat, liefert jetzt mehr oder weniger nur noch eine Art Soundteppich, auf dem dann ein klassischer Rocksong aufsetzt. Selbstverständlich ist das nicht verwerflich und der Songs nicht verkehrt, aber es ist schon ein Bruch. Bei „Carousel“ wird es für knapp drei Minuten ruhiger und noch dramatischer, was möglicherweise der Link zu IAMX sein könnte. „Heroic Synphony“ klingt dann dem Titel entsprechend schmachtend und diese klagende Note wird auf den restlichen vier Songs grundsätzlich beibehalten, was ich aber nicht (immer) als störend empfinde. „Heavy To Climb“ verlässt sich nicht auf typische Songstrukturen, bevor „Farewell And Goodbye“ wirklich hervorsticht. Ein eingängiger Song, der in der Tat etwas für Placebo-Fans sein dürfte und mit einem abwechslungsreichen Ende aufwartet (trotz weitere Bush-Zitate). Das klagende „N.O.G.“ gefällt mir gut, ist aber mit Sicherheit nicht jedermanns Sache. Etwas ratlos macht mich dieser kleine instrumentale Nachklapper am Ende. Da geht mehr, wie zum Beispiel Mesh schon bewiesen haben. Zuletzt nimmt der zweite Teil von „Heavy To Climb“ den Faden von Part I auf und schließt dieses Album nach nur gut dreißig Minuten ab. Nach der ersten Enttäuschung habe ich mich dabei ertappt, „Electric Tree“ immer wieder zu hören und mit der Zeit habe ich mich dabei von meinen hohen Erwartungen lösen können und erstaunt festgestellt, dass sich die meisten Songs in meinen Gehörgängen festgebissen haben. „Farewell And Goodbye“ oder „N.O.G.“ sind nicht perfekt, aber auf Ihre Art faszinierend. Sie übertünchen aber nicht alle Schwächen („Heroic Symphony“ und „Heavy To Climb“). Und bei nur dreißig Minuten Spielzeit fallen diese schwer ins Gewicht. Eine EP mit den vier richtig gewählten Songs würde eine bessere Bewertung bekommen.