Das griechische Label Impulsive Art ist noch sehr jung und widmet sich der Unterstützung und Vermarktung innovativer, unkonventioneller Musik- bzw. Kunst-Projekte, welche sich weder durch inhaltliche Strukturalismen noch auf ein mediales Format begrenzen. In dieser Hinsicht ist ihre zweite Veröffentlichung, der vorliegende Sampler „Thesis Vol.I“, zwar nicht gerade ein Beispiel für Multimedialität, jedoch für den relativen Abwechslungsreichtum ihrer musikalischen Orientierung, die sich hier in Form von postindustriellen Genres à la IDM (im weiteren Sinn) manifestiert. Ein Blick auf die Tracklist dürfte dem geneigten Hörer dann auch einige Namen offenbaren, die schon von anderen einschlägigen Labels her bekannt sind. Den Auftakt macht IP Neva, der zuvor auf Impulsive Art sein Debut-Album „Symbiosis Of Contradictions“ veröffentlichte und z.B. auch auf Tympaniks aktuellem „Emerging Organisms Vol. 3“ vertreten ist. „Artificial Crisis“ ist eine glitchy Ambient-Nummer, in der Radioprogramm-Samples inkl. Frequenzstörungen und typischem Rauschen mit melodischen Klavier-Klängen kombiniert werden. Das ganze wird nur einmal, etwa in der Mitte des Tracks, mit einem Beat in Form von Drumsamples unterlegt, die in Richtung Breakbeat/Downtempo gehen und den Klimax dieses gelungenen Aufbaus darstellen. Es folgt der als Synthesizer-Spezialist bezeichnete Moogulator, der zwar auf langjährige Erfahrung in der Musikproduktion und -Aufführung zurückblicken kann (z.B. als ConseQuence und Teil des Projekts dAdA-iNN, welches auch Film-Soundtracks komponiert), sich unter diesem Pseudonym jedoch erst 2008 auf dem Tonträgermarkt bzw. in der Discogs-Datenbank verewigt hat, wobei das Hauptaugenmerk weiterhin auf der Live-Performance liegt. Sein „Iron Triangle“ ist verspielter und rhythmisch komplexer als IP Neva’s Beitrag, und die Melodie ergibt sich aus Percussions und Frequenzmodulation. Lieder wie dieses halte ich für geradezu exemplarisch, wenn man den Sound von IDM beschreiben will, so ist es zwar relativ gewöhnungsbedürftig, aber erscheint nicht völlig fremd. Dies trifft auch auf den Beitrag des Berliner Duo’s Atmogat zu, deren aktuelles Album erst kürzlich auf Impulsive Art erschienen ist und sie somit auf diesem Sampler nicht fehlen durften. „Distorg“ wirkt noch nüchterner, trockener als die eiserne Triangel zuvor: Flickerndes Klickern, lässiger, verhältnismässig geradliniger Rhythmus und hin und wieder dezente Synth-Flächen. Tapage’s „Last Inhale“ paart atmosphärische Klavier-Anschläge und Streicher-Sounds mit kontrastierend hektischem Rhythmus-Gefrickel. Es folgt Mobthrow vom ebenfalls in Athen ansässigen und gleichgesinnten Spectraliquid-Label. Die offensichtliche Anspielung auf Label-Kollegen Xsoz und Subheim namens „Xsozheim“ ist geprägt durch eher düstere Atmosphäre, metallische Synth-Flächen, und elaboriertem Breakbeat. Der nun folgende Panagiotis Pagonis, aka Abstractive Noise, ist für das Mastering, Artwork und Layout von „Thesis Vol.I“ verantwortlich (was er auch vorbildlich umgesetzt hat) und hat selbst bisher nur eine EP veröffentlicht, und zwar auch bei Impulsive Art unter Creative Commons Lizenz, d.h. es kann hier legal und umsonst heruntergeladen werden. Sein „Charnel’s Insects“ führt die ominöse Atmosphäre von „Xsozheim“ fort und zeigt sich rhythmisch ebenso ausgefeilt. Keef Baker hat sich seit seinem Debut 2004 unter diesem Namen einen Namen gemacht und remixte bspw. schon so unterschiedliche Künstler wie Caustic, Coreline, Autoclav1.1, Detritus oder auch Unter Null’s Nebenprojekt Stray. „Sapphire“ ist geradezu fröhlich melodisch mit relativ konventionellem Rhythmus, wobei die zweite Hälfte nur noch den Nachhall der Ersten darstellt, in der letztendlich aus dem Noise bekannte, bedrohlichere Störfrequenzen die Überhand nehmen. Mad EP, dessen musikalisches Lebenswerk zum Teil im Katalog von Ad Noiseam und Hymen verfügbar ist und einen eindrucksvollen Stilmix darstellt, zeigt dem Hörer die jazzige Seite experimenteller Elektronik und präsentiert mit „Wahnbriefe“ filigranes Schlagzeugspiel in Kombination mit abgefahreneren Synth-Sounds und reversed Samples. Lässig, aber die Atmosphäre bleibt angespannt. Auch hier möchte ich darauf verweisen, dass sein durch Klassik inspiriertes Album „Twenty-Four Breakbeats“ umsonst bei Acroplane Recordings heruntergeladen werden kann. Larvae sind auch nicht gerade engstirnig was ihre stilistischen Exkursionen angeht und zeigen sich mit „Shogun“ Postrock-inspiriert, so gibt es flächige, verzerrte Gitarrenriffs, unterlegt mit einem gelassenen Breakbeat. Plastique Nole ist ein russisches Projekt und hebt sich mit „Bright Sight“ aus dem Rest hervor, denn dieses klingt zunächst nicht sonderlich „elektronisch“ und erinnert eher an psychedelischen Lo-Fi-Rock aus den 60ern mit Gesang, Tambourine und spacigen Sound-Einwürfen. Der Ukrainer Andrey Kiritchenko, der auf eine nicht weniger vielfältige Musik-Karriere zurückblickt wie die meisten anderen auf diesem Sampler, sticht ebenso hervor, denn sein Beitrag beginnt zunächst mit Geräuschen, die evtl. an einen Vogel-Schwarm bzw. eher an Foley-Aufnahmen erinnern als an synthetische Klangerzeugung. Das Lied geht dann über in metallischen, dissonanten Synth-Sound, wozu dann Klavier-Spiel einsetzt und etwas verzögert auch eine Akustik-Gitarre. Nach einer Weile sehr ruhiger, harmonischer Melodie kommen leichte Tabla/Bongo-Schläge hinzu, desweiteren Glockenspiel und eine schräge Geige (oder welches Streichinstrument auch immer). Spyweirdos übernehmen die klassischen Klänge in „The Oldest Door“ und nutzen hier ebenso Geige und Klavier als primäre Melodieträger. Das letzte Lied des Samplers kommt allerdings sehr bedrückend daher, bleibt aber auch harmonisch und ruhig, d.h. es gibt keine extravaganten Ausbrüche, nur gelungenes, atmosphärisches Arrangement. „Thesis Vol.I“ ist eine durchaus gelungene Zusammenstellung aus hochwertigen bekannteren und gleichwertigen (mehr oder weniger) unbekannteren Projekten, die eine beachtliche Bandbreite an Ausprägungen experimentellerer elektronischer Musik bieten, welche zwar zu irritieren vermag, aber niemals abweisend wirkt. Tanzbarkeit wird hier, wie zu erwarten, klein geschrieben, und die Stimmung ist hauptsächlich eher ruhig und auf subtile Weise emotional. Der Sampler bleibt durchgehend interessant, aber letztendlich gibt es auch keine Überraschungen. Die Richtung, die Impulsive Art sich setzt, wird sehr deutlich, allerdings hoffe ich, dass auf dem nächsten Sampler der Anteil an nicht bereits etablierten Künstlern zunimmt (was mit mehr Signings wohl auch der Fall sein wird), sonst könnte es zu Verwechslungen kommen...Wer „Emerging Organisms“ kauft, muss auch „Thesis“ kaufen, sozusagen...