Seit zehn Jahren sind die kreativen Macher des englisch holländischen Labels Urbcom nun unterwegs auf ihrer Mission, die schier unglaubliche Vielfalt an elektronischer Musik salonfähig zu machen und den Mainstream damit zu infiltrieren. Mit viel Liebe und harter Arbeit hat sich Urbcom in dieser Zeit in Sachen moderner (experimenteller) Electro, Ambient, Industrial-Techno, Intelligent Dance Music und Breakcore eine beachtliche Reputation erarbeiten können und etliche Acts aus dem miefigen, verschrobenen Underground ans Licht geholt. Dank fehlender Berührungsängste oder den berühmten Scheuklappen vor den Augen und natürlich einem sicheren Gespür, talentierte KünstlerInnen auch als solche zu erkennen, konnte sich Urbcom schnell eine stetig wachsende Musiker- und Fangemeinde aufbauen.

Dank ihres neuen, in Deutschland ansässigen Vertriebspartners Nova Media dürfte das in Zukunft noch leichter gelingen! Mit dem jüngst veröffentlichten 2CD-Sampler „Recreation-X [Display Disobey V2] ist nicht nur eine unmissverständliche Aufforderung verbunden, sich dem Sound der Zukunft hinzugeben, sondern auch an das Potential dieser weltumspannenden, pulsierenden und aktiven Musikszene zu glauben und dieses zu unterstützen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass aus der von Urbcom selbst formulierten Aufgabe mit Leichtigkeit eine fast obsessive Hingabe an all ihr Schaffen und Tun herauszulesen ist: „ … producing new edgy, innovative music journeying from harsh post-industrial powernoise deathjungle-dubtronics to ambient IDM gothica through uptempo sparky dancefloor futurepop and the avantgarde.“

Wer nach dem Lesen dieser Zeilen nun schwer daran zweifelt, dass so etwas überhaupt möglich ist oder gar ob der abenteuerlichen Genre Bezeichnungen stutzt, dem sei „Recreation-X“ gleich ans Herz gelegt. Ganze 33 Tracks hat das Team um die Labelgründer J. Hookens and Dave Escott, die ihrerseits mit den Projekten Jerico One> und Awax am Start sind, zusammengetragen – die meisten davon als bisher unveröffentlichte, neu aufgenommene oder rare Mixes und Versionen, welche das Herz jedes Sammlers und Neuheiten-Jägers höher schlagen lassen werden. Allerdings liest sich, wie zu erwarten, die Namensliste der Künstler wie eine Ansammlung „Großer Unbekannter“, um es etwas salopp zu sagen. Aufgrund der bereits angesprochenen underground-orientierten Arbeit des Labels sollte dieser Umstand jedoch nicht verwundern. Namen wie Nebula-H (das Seitenprojekt von This Morn’ Omina Mastermind Miguel “Mika” Godrijk), Glenn Love, T.H. Industry, Antistasis und Skorbut (die süddeutsche Electro-Band um Jörg Hüttner, dem ehem. Mitglied von Relatives Menschsein und Dorsetshire) dürften hierzulande allerdings fast jedem ein Begriff sein.

CD 1 des Samplers steht ganz im Zeichen des Electro und EBM, kombiniert mit modernen Dancefloor- und Techno-Sounds, wie ihn neben Intercity3 mit dem lasziv gehauchten und engelsgleich gesungenen „Windows“ auch Biodrone, Glenn Love & T.H. Industry und vor allem Nebula-H feat. Pangea mit ihrem ethnomäßig angehauchten Track „Andalusion“ zelebrieren. Während Kinho auf „Terminal“ mit verruchten und betörend-sexy female vocals Gedanken an heiße, tabulose Partynächte aufkommen lassen, kreieren Bionic Phunk mit ihrem tatsächlich sehr funkig angehauchten Electro und Intercity 3: "City at night" einen pulsierenden Soundtrack für urbane Nachtschwärmer. Serotonins reinrassiger, majestätischer Trance-Song wiederum verführt zum gnadenlosen Körpereinsatz, Deathstars “Mybodydrifting”, Awax’ “Lines” oder “Jerico Ones: “Extol” gleiten hinüber in ruhige Ambient-Sphären und laden zum Entspannen und Abdriften ein. Doch auch für die ewig tanzende House- und Dancegemeinde finden sich auf CD1 die passenden Tracks. Alien Six etwa sorgt mit „C Squared“ für einen gemäßigten, abwechslungsreichen Breakcore.

Noisiger, schräger, rhythmischer und vertrackter präsentiert sich das auf CD2 gepresste Songmaterial. Hier treffen old school Techno, Industrial, Breakcore und Power Electronics auf verfrickelte Melodien, um wenig später in trashige, verstörende Lärmkaskaden und Geräuschsequenzen überzugehen. Herausragend sind hier vor allem Awax mit „Ion Protocol“ und Anticracy, deren Titel „Uso Derog“ scheinbar unkontrolliert vor sich hin fiept, zirpt, bleept und knarzt – Psycho Electro wie er sein muss! Sudden Infant zelebrieren daraufhin eine schmerzende Lärmorgie, und streicheln im nächsten Moment die geschundene Seele mit zuckersüßen Melodien. Doch die Harmonie währt nur sehr kurz. „Angelic Agony“ ist die wahrhaft passende Umschreibung für diese engelsgleiche akustische Tortur. Nach dem rhythmischen Powerindustrial von Somatic Responses wirkt der massive, düstere Dark Electro Titel „InZenith“ fast schon hausbacken, clean und steril, gehört aber zu den besten Tracks der Compilation. Ebenso auch „Traumazeit“ des deutschen Powerelectro Projektes „Antistasis“. DJ****, Jerico One, Awax und Kyosuke Tokanaga sorgen für die heftigeren, distorted breakbeats, während Biodrone noch einmal in eher spacig-abgehobenen Gefilden driftet.

Uniform und Blackpepper bilden mit ihren völlig gegensätzlichen Titeln einen krassen, erst kaum wahrnehmbaren, subtilen, dann lärmigen, kranken Abschluss – gemäß dem Motto: Das Schlimmste zum Schluss! Für aufgeschlossene Electro- Freaks, Techno-Dance-Jünger, Raver und Cybergirls/-boys ist dieser Sampler genau das Richtige für die cosmic journey in den eigenen vier Wänden – überall auf der Welt! Die „echten“ Industrial- und Noise-Freaks, die zuhause das komplette Programm von Tesco, Steinklang, Ant-Zen und Konsorten sorgfältig archiviert haben, dürfen getrost die Finger davon lassen.