Der Medienkonverter gilt ja laut Eigenbeschreibung als Magazin für subkulturelle Töne und alternative Musik. Nimmt man diese gewiss zutreffende Titulierung zum Maßstab, stünde auf die Veröffentlichung einer Rezension der neuen Compilation „Discothek 90“ aus dem Hause Pokorny Music Solutions für den Schreiber dieser Zeilen die sofortige Suspendierung und umgehende Accountsperrung. Zurecht! Deshalb sei die passende Entschuldigung und Erklärung gleich nachgeliefert: Die Dancesounds der frühen 90er, die Paarung sinnfreier Raplyrik mit hymnischem Frauengeträller und der darüber gelegte 4/4 Trademarksound sind mittlerweile schon wieder komplett alternativ, sprich dermaßen neben der Spur, dass jeder sich selbst offensiv bekennende Fan dieser Musikrichtung allergrößten Respekt genießt und quasi als Inbegriff moderner Independentkultur gelten sollte. Ihm zu ehren schreibe ich nun diese Rezension und beginne mit den herausragenden Beiträgen, die übrigens allesamt in Extended Versions - für maximalen Spaß - vorliegen. Da wären zunächst „Loft“, über die ich nur weiß, dass sie die legendäre Pet Shop Boys- Noppenhülle von „Very“ kopierten und ihr kurze Zeit später erschienendes Album in grellen Gelbtönen präsentierten. Über den Song braucht man dagegen keine weiteren Worte verlieren – passend dazu trällern „Masterboy“ ihren Hit „I Got To Give It Up“. Dem Eurodance-Trio muss ein Faible für clevere Melodien attestiert werden, doch die lächerlichen Rap-Attacks reißen das Level in Grund und Boden: „Feel burned out – to the ground...kiss me, hug me, on and on...“. Der nachfolgende Titel „Right In The Night“ von „Jam & Spoon“ ist dagegen in seiner instrumentalen Einleitung eine echte Offenbarung und weit entfernt von jenem Trashfaktor, mit dem andere Bands wie „Red Star“ kokettieren. Klaus Meine hat hier tatsächlich seinen Scorpions-Evergreen in einen groovenden Sommerhit verwandelt. Getanzt wird plötzlich nicht mehr vor der Berliner Mauer, sondern auf Ibiza, wo direkt im Anschluss sicher „Touch Me“ von den „49ers“ gespielt wird, das den Hörer konträr zum verheißungsvollen Titel überhaupt nicht berührt. Aber es gibt auch Lichtblicke, wie den Überfliegerhit der Doppel-Uhle / Kaiser Kollaboration „X-Perience“, die damals mit „A Neverending Dream“ bis auf Platz 4 der Single-Charts stieg und Ende der Neunziger Jahre ein kurzes Synthpop-Revival einläutete, in dessen Zuge u.a. Wolfsheim ihre Chartmeriten erwarben. Zu den Klassikern gehört natürlich auch „Das Boot“ von U96, das besonders im Vergleich zu den neuzeitlichen Musikprojekten von Mr. Christensen unfreiwillig an Klasse gewinnt. Beim kompletten Durchhören der Discoevergreens aus dem vorletzten Jahrzehnt fällt jedoch auf, wie stark der Zahn der Zeit an so manchen Werken nagt. Denn während man die Tophits der Achtziger Jahre gerne als „zeitlos“ in den Himmel lobt, bleiben für die vormals wegweisenden Schwedenpopper „Ace of Base“ nur Attribute wie „outdated“ übrig. Diese Erkenntnis fußt definitiv nicht auf dem Songwriting, das es auch heute noch mit jeder aktuellen Chartproduktion locker aufnehmen kann, sondern auf der dumpfen Discoproduktion, die zur Generierung maximaler auditiver Kompatibilität mit dörflichen Tanztempelstandards auf jegliche Feinheiten im Sound verzichtete. So bleibt unter dem Strich ein zwar gut zusammengestellter Sampler, der die Zielgruppe gewiss zufriedenstellen wird, aber unter objektiven Wertmaßstäben allenfalls die untere Mittelklasse musikalischer Mindestanforderungen erreicht. Aber „objektiv“ ist Musik ohnehin nicht zu beurteilen. Insofern machen die Independent-Eurodisco-Dancer mit dem Kauf dieser prall gefüllten Doppel-CD nicht viel falsch.