Bisher dachte ich immer, U2 wären eine dieser Bands, die ihren Ruhm nur durch ihr Durchhaltevermögen errungen hätten. Musikalisch nichts besonderes, aber durch jahrzehntelange Präsenz, in die oberen Ränge der großen Rock-Acts gerutscht. Diese Zeiten sind vorbei. Endlich gehen mir die Ohren auf. Mit der Veröffentlichung der ersten drei Scheiben „Boy“, „October“ und „War“ kann die Jugend von heute aufgeklärt werden. Allen älteren Soundfetischisten wird die Schatztruhe in neuem Glanz aufgerissen. Als Ende der 70er Bono und seine Kollegen die ersten Gehversuche unternahmen, konnte noch keiner ahnen, in welche Richtung die Band später gehen würde. Bono Vox – der charismatische Frontmann ist längst weit über die Musik weltweit bekannt. In krisengebeutelten Irland machen sich vier junge Musiker auf die Welt zu verbessern. „Boy“ (1980) Los geht es im Jahre 1980 mit ihrem Debütlabum „Boy“. Was soll ich sagen? Ohne Erwartungen bin ich an Songs wie „Another Time, Another Place“ angetreten. Besser die späte Erkenntnis, als gar keine. Denn der Sound war damals schon einzigartig. Locker, leicht und trotzdem voller Tiefe, zelebrieren sie einen musikalischen Schöngeist, wie er in den oberflächlichen 80er nur schwer zu finden war. Den Anfang macht das herrlich leichte und verspielte „I Will Follow“. Post-Punkig, aber schon mit jeder Menge catchiger Gitarrenmelodien ausgestattet, versprühen die Jungs mächtig Newcomer-Charme. Das düstere „An Cat Dubh“ sowie das fröhlich-melancholische „Into The Heart“ zeigen großes Potential und verhelfen den Iren zu den ersten Chartplatzierungen auf der Insel. „October“ (1981) Bevor sie die Welt erobern sollten, warfen sie mit ihrem zweiten Album „October“ zwar keinen Rohrkrepierer, aber ein an der Qualität der anderen Alben gemessen, unterdurchschnittliches Album heraus. Vor den Aufnahmen traten die Jungs in eine christliche Glaubensgemeinschaft namens „Shalom“ ein. Diese sah jedoch vor, dass man kein Musiker in einer Rockband sein darf. Zum Glück entschieden sich die Jungs für die Musik und gegen die Gemeinschaft. Als Überbleibsel dieser Phase befinden sich auf dem Werk jede Menge religiöse Bezüge u.a. beim Opener „Gloria“ und „Tomorrow“. Musikalisch bieder und mit angezogener Handbremse ausgestattet, kann „October“ neben „Boy“ und „War“ nur abstinken. Mit Abstand das schwächste Album der Frühphase. „War“ (1983) Anders sieht es beim dritten Werk „War“ aus. Religion war gestern – jetzt wird mit der hiesigen Welt gehadert. Es ist der Beginn der politischen U2. Mit „Sunday Bloody Sunday“ steht einer der größten Hits gleich an erster Stelle. Es scheppert, es groovt. Erinnerungen werden wach – diesmal jedoch digital remastert. Toll! „Seconds“ quält sich leidvoll durch die Boxen, bevor mit „New Year’s Day“ mein absoluter Lieblingssong der Iren im neuen Glanz erstrahlt. Ein zartes und doch so kräftiges Stück Musik hab ich in meinem Leben selten gehört. Ganz große Kunst. Das wütende „Like A Song“ schlägt kräftig ein, bevor es mit „Drowning Man“ wieder zur Anklage kommt. Der leidvolle Gesang Bonos ergreift und beschert Gänsehaut. Mit „War“ haben U2 ein zeitloses Stück Pop-Musik erschaffen, das in keiner wohlsortierten Plattensammlung fehlen sollte. Alle drei erscheinen wahlweise mit je einer Bonus-CD, bei der es unveröffentlichtes Material, rare B-Seiten und Live-Mitschnitte zu erkunden gibt. Dazu gibt es auch bei der Standart-Version ein modifiziertes Booklet, mit seltenen Bildern und einer mehrseitigen Geschichtsstunde von Paul Morley, Neil McCormick und Niall Stokes, die sich intensiv um die zeitliche und musikalische Einordnung kümmern. Alles zusammen machen diese Wiederveröffentlichung jede Menge Spaß. Wer sich bisher mit dem Frühwerk der Iren kaum auseinandergesetzt hat, darf auf Entdeckungsreise gehen. Wer schon damals ein Ohr für Bono, The Edge und Co. hatte, sollte ein weiteres Mal genau hinhören. Der Sound ist ein Hochgenuss und zeigt, wozu die moderne Technik alle gut sein. Klar, werden viele sagen, dass es weniger Authentizität als die Originale besitzt, aber dafür kommen neue Facetten ans Tageslicht, die nicht unentdeckt bleiben sollten.