Es gibt Künstler, da weiß man schon bevor die erste Note geschrieben wird, dass nur große Kunst heraus kommen kann. Eine dieser Künstler ist zweifellos Toris Amos. Die Amerikanerin schafft es, in spielerischer Regelmäßigkeit Alben zu veröffentlichen, die ihre Kritiker und Fans in Ekstase versetzen. Und dabei versucht sie erst gar nicht auf aktuelle Trends, angesagte Producer und Songschreiber zu setzen. Ihre zeitlose Musik, ihre gefühlvolle Balladen und ihre außergewöhnliche Stimme brachten ihr im Laufe der Zeit den berechtigten Respekt als eine der größten Künstlerinnen unserer Zeit. Nun erscheint mit „Abnormally Attracted To Sin“ das zehnte Studioalbum der rothaarigen Sängerin. Sündig geht es zu (vor allem im Booklet), aber auch ein wenig verschwenderisch, wenn ich mir die Anzahl der Tracks anschaue. 17 Songs – kann das gut gehen? Zwar erfreut die Gesamtspielzeit von weit über eine Stunde, doch bei so vielen Tracks kann das Niveau doch kaum gehalten werden, oder doch? Oder doch! Drei kurze Worte: Ich bin begeistert! „Abnormally Attracted To Sin“ ist ein einziger Rausch - ein Rausch der Sünde, der Gefühle und Sehnsucht. Bereits der Opener „Give“ fesselt von der ersten Sekunde. Es muss eben nicht immer laut sein. Die leisen Töne sind die schwersten. Sanft aber doch druckvoll schafft Tori Amos auf 17 Songs ein spannendes Gesamtkunstwerk. Mal wird sie nur vom Klavier begleitet („Maybe California“, „Ophelia“), mal lässt sie grazil die kleine dreckige Rocksau raus („Not Dying Today“). Doch auch vor Experimenten macht sie nicht halt. Bei solch einer langen Tracklist kann man schließlich auch mal etwas wagen, ohne die Fans zu vergraulen. So durchziehen „Police Me“ leichte elektronische Spielereien. Jedoch rutscht Tori Amos dabei ein wenig in die Poprichtung und lässt den Song wie Madonna auf Valium klingen. Dennoch interessant und hörbar. Es gibt soviel zu entdecken, dass man Wochen braucht, um sich dieses Album ganz zu erschließen. Doch diese Zeit sollte man sich nehmen. Der Titeltrack ist die pure Sünde. Verführerisch und sexy umschmeichelt und benebelt ihre Stimme unsere Sinne. Traumhaft leicht. Wenn ich jedoch drei Songs herausnehmen müsste, dann würde ich zunächst „Curtain Call“ empfehlen. Die geniale und sehr verruchte Melodieführung fasziniert und lässt die Zeit für knapp fünf Minuten still stehen. Langsam baut sich der Song auf und gipfelt im zarten Refrain zu ganz großem Kino. Genauso „That Guy“ – wunderbar arrangiert und unglaublich spannend. Man freut sich vier Minuten lang auf die kommende Sekunde. Mit „Fast Horse“ zeigt sich die Sängerin ein wenig von ihrer anderen Seite. Aufwendiger instrumentiert, aber immer noch wunderbar leicht, zeigt Tori ihre stimmliche Vielfalt. Einfach schön – mehr fällt mir dazu nicht ein. Fans die sich von den vorab veröffentlichten Songs wie „Fire To Your Plain“ verunsichert fühlten, sollten aufatmen. Gerade dieser Song ist der belangloseste des ganzen Albums. Nicht schlecht, aber nur ein Bruchteil der Klasse, die der Rest ausstrahlt. Mit dem über sieben Minuten langen Schluss-Epos „Lady In Blue“, welches in einem dramatischen, von E-Gitarren beherrschten, Finale mündet, schließt „Abnormally Attracted To Sin“ mit einem Übermaß an Leidenschaft. Tori Amos begeistert auf ihrem zehnten Album mit unglaublicher Variation. Zwar geben langsame und ruhige Töne den Takt an, doch wie man innerhalb dieses eng gesteckten Rahmen, solch eine Kreativität und Abwechslung erreichen kann, ist mir ein Rätsel. Diese Frau ist und bleibt eine Sünde.