Die 70er. Die Eagles feiern große Erfolge mit "Hotel California", die freie Liebe wird propagiert und Bands wie Boney M., die Bee Gees oder Hot Chocolate machen die Tanzflächen unsicher. Auch damals war schon zielgruppenkonformes Marketing weit verbeitet, wenn auch bei weitem nicht so ausgeprägt wie heute. Gegen diesen Trend und den aufkommenden Mainstream formte sich damals die Band Throbbing Gristle. Als gezielte Schlag gegen die Musikindustrie entwickelten Chris Carter, Genesis P-Orridge, Peter Christopherson und Cosey Fanni Tutti ihre ganz eigene Art von Musik und gründeten, in dem Bewusstsein, dass kein Label der Welt ihr Musik veröffentlichen würde und Throbbing Gristle das erst recht nicht wollten, ihr eigenes Label, Industrial Music, und hoben damit eine ganz neue Musikrichtung aus der Taufe. Selbst für heutige Maßstäbe ist die Musik von Throbbing Gristle außergewöhnlich. Für damalige Verhältnisse muss sie regelrecht schockierend gewirkt haben. Aus gutem Grund trägt ihr neues Album, "The Taste Of TG", einer Art Best-Of-Sammelsurium, den Untertitel "A Beginner's Guide to the Music of Throbbing Gristle". Man kann zwar nicht alles aber einen sehr großen Teil der heutigen Noise- und Inustrial-Szene auf die Arbeit dieser vier Musiker zurückführen. "The Taste Of TG" ist somit eine Art musikalisches Geschichtslehrbuch und ein sehr interessantes noch dazu. Schließlich hört sich "Dead On Arrival" so an, als ob eine Gitarre gnadenlos vergewaltigt wird, während "Hot On The Heels Of Love" wieder ganz harmonisch mit glockenähnlichen Lauten ganz verspielt und mit erotisch gehauchtem Text erklingt. Wer wissen will, was Hass wirklich ist, der sollte sich "We Hate You (Little Girls)" anhören, das fast nur aus dem geschrieenen Titel besteht. Dabei wird hier mit solch einer Inbrunst gebrüllt, dass es einem eine Gänsehaut auf den Rücken zaubert. Throbbing Gristle waren ihrer Zeit sehr, sehr weit voraus. Fast scheint es so, als ob selbst heute noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um die Reichweite ihrer Experimentierfreudigkeit vollkommen erfassen zu können. Wie Aliens haben sie sich still und heimlich breit gemacht und ihre Mischung aus wilden elektronischen Tönen, provokanten Texten und melodischen Verspieltheiten unter das Volk gebracht. Diese Industrial-Pioniere haben sich ihren Ruf hart erarbeitet. Hört man sich die beiden Live-Tracks auf diesem Album an, merkt man erst, wie viel Enthusiasmus hinter der Musik von Throbbing Gristle steckt. Auffällig ist, dass im Gegensatz zu heute noch sehr viel mehr mit den Stimmen gearbeitet wurde. Sicherlich hatte man damals noch nicht die technischen Möglichkeiten wie jetzt, aber gerade das macht "The Taste Of TG" so bemerkenswert. Der Hörer begibt sich auf gewagte und gefährliche Entdeckungsreise, von der er nicht weiß, ob er sie unbeschadet überstehen wird. Um viele Erfahrungen reicher wird er allemal sein.