Im Fachbeschallungsgeschäft meines Vertrauens huschte Ende 2003 dieses Cover an mir vorbei. Als kleiner Grufti in meiner Art vollkommen vorurteilsfrei dachte ich mir: „Was für ein kitschiges Bild, bestimmt wieder irgendein L'ame immortelle/Blutengel/oder so-Projekt“. Also schnell wieder vergessen, kann doch gar nicht lohnen. Monate später, bei meiner Geburtstagsfeier, bekam ich von einer bestimmten Person eine verpackte CD geschenkt mit den Worten „Das hier ist etwas ganz besonderes“. Da diese Person mir in Sachen Musik sehr wichtig ist hatten diese Worte einen Wert.... und unter der Verpackung verbargen sich die Dresden Dolls... und sie sind tatsächlich etwas ganz besonderes! Amanda Palmer und Brian Viglione eroberten von Bosten, USA mit ihrem „Brechtian Punk Cabaret“ weltweit die Herzen von sehr vielen Menschen. Das selbstbetitelte Album ist ihr zweites Release, wenn man die Live-Sammlung „A is for accident“ mitzählt und alle zwölf Titel sind einfach gold. Und dabei ist die Musik der Dolls doch so einfach – Amanda spielt E-Piano und singt und Brian trommelt wie ein Wilder und greift ganz selten zur Gitarre. Die Musikrichtung ist mit „Brechtian Punk Cabaret“ schon ganz gut beschrieben, denn mit der minimalen Instrumentierung reiten die Dolls durch die verschiedenen Jahrzehnte und Ebenen der Musikgeschichte, Punk, Rock, Jazz oder aber Jahrmarktsmusik verschmelzen zu einer liebenswerten Melange. Dabei glänzt vor allem Brians unheimlich akzentreiches Drum-Spiel, der Mann wäre in jeder Punk/Metal Kapelle ein willkommener Gast, schafft er es doch auch in schnelleren Passagen nie sein „Gesicht“ zu verlieren und immerneue Einspieler einzubauen. Amanda's Pianospiel ist zwar auch sehr gefühlvoll und passt perfekt jedem einzelnen Song, ganz so perfekt wie Brian geht sie aber nicht zu Werke. Macht aber auch nichts, denn ihre Stimme und ihre Texte sind der andere wichtige Pfeiler der Dresden Dolls. Eine Stimme, so liebenswert wie unfertig, singt von Alltagsgeschehnissen, dem Wahnsinn und Menschlichkeit. Mit viel Charm und Witz, Theatralik und auch mal Mut zu Hässlichkeit – es ist eine Freude. Die Dresden Dolls sind nicht aufgesetzt oder in irgend einer Weise in Bahnen gelenkt – ihre Musik klingt natürlich, wundervoll, frei von Grenzen. Wenn ich mir überlegen soll, welche drei Anspieltips ich besonders hervorheben möchte fallen mit nur acht Lieblingslieder ein (und dann ignorier ich 4 sehr gute)... Soll ich jetzt sagen, daß „Good day“ (mit der Aussage: alle reden nur von ihren Problemen und niemand bemerkt, daß es mir einfach gut geht) ein energiegeladener Gute-Laune-Mitsing-Song ist? „Girl Anachronism“ eindeutig von einer irren Frau über eine irre Frau geschrieben wurde und von einer schnellen und irren Punk-Melodie begleitet wird? Dann ist da noch „Half Jack“, die zweite Person im Ich, gegen die traurig, zerbrechlich und verzweifelt angesungen wird. Auch das Mini-Stück „672“ ist mir ans Herz gewachsen, passt es doch im Anschluss an „Half-Jack“ so gut auf die CD. Über den „Coin-operated boy“ sollte man zumindest schonmal auf Parties gestolpert sein (wenn nicht, dann geht zum DJ und gebt ihm einen Klaps auf den Hinterkopf auch wenn es eine Electro-Party ist), Cabaret-Musik mit „Aufzieh“-Rythmus begleiten die Liebeserklärung an den mechanischen Freund, der einfach so viel besser ist als echt Männer. „Bad habbit“ nimmt sich der Problematik Autoaggressionen an, den irren Kampf gegen den eigenen Drang, sich selbst zu verletzen – was für ein Text, was für eine Melodie. Aber der „Jeep Song“ darf auch nicht vergessen werden... Trennungslied mal anders – denn es wär ja alles nicht so schlimm, wenn das lyrische Ich nicht laufend den Jeep des Ex vorbeifahren sehen würde und deswegen die Stadt verlassen muss, bis das Auto aus der Mode kommt. Schließlich beendet „Truce“ die CD, lang, emotional und eher getragen schließt es diese CD ab. Aber ich kann nie genug bekommen und drücke immer wieder erneut auf „play“. Die Dresden Dolls sind schlichtweg genial, die Geschichten über ihre Einflüsse und Produktionen findet man im Internet und oft auch durch selbstgemachte Videos im Netz. Ich muss zwar konstatieren, daß sie live noch gleich dreimal so gut sind wie auf CD, aber das sollte eigentlich vor allem dazu auffordern, sie live zu sehen UND sich das Album zu holen.... und dann auch gleich das nicht minder schlechte Nachfolgewerk „Yes, Virginia“.