Nachdem kürzlich erst Charles Pierce alias End sechs Sterne für seine phantasiereiche und aberwitzige Mixtur "The Dangerous Class" erhalten hatte, reihen sich der britische Komponist Joby Talbot und der amerikanische Künstler und Musiker Benjamin Wynn alias Deru nun gleich mit ein. Dafür gibt es zwei schlichte Gründe: "Genus", so das Werk der beiden, ist genial und ergreifend. Punkt. Und der Wermutstropfen folgt auch gleich hinterher: Von der aufwändig gestalteten CD gibt es nur 100 Stück. Alle Zuspätkommer müssen sich mit der digitalen Version begnügen. Das sollte man vielleicht im Haus Ant-Zen angesichts dieses überragenden musikalischen Outputs noch einmal überdenken. Blicken wir hinter das Geheimnis dieser Platte. Joby Talbot ist ein klassisch ausgebildeter Komponist, der sein Handwerk noch richtig studiert hat und dessen Stücke unter anderem vom BBC Philharmonic Orchestra, London Sinfonietta oder vom Brunel Ensemble aufgeführt wurden. Neben Arbeiten mit Michael Nymen oder Ute Lemper hat er sich auch einen Namen als Komponist für Film und Fernsehen gemacht. Seine bekannteste Arbeit dürfte der Soundtrack zu "Per Anhalter durch die Galaxis" sein. Benjamin Wynns bzw. Derus musikalischer Schwerpunkt liegt bei Electronic und Hip Hop. Auch er beschäftigt sich unter anderem mit Filmmusiken. Aus einem Treffen der beiden erwuchs gegenseitige Sympathie und später auch eine Zusammenarbeit. Diese entstand dadurch, dass der Choreograph Wayne McGregor Talbot und Deru nach Musik für seine neue Arbeit mit dem Pariser Opern Ballett fragte, die sich mit der Entdeckung der Evolution durch Charles Darwin beschäftigte. Das Ergebnis dieser Arbeit ist "Genus" und darf nun auf dem vorliegenden Silberling bewundert werden. Dem Duo geht es in seiner musikalischen Umsetzung des Themas um zweierlei: natürlich einerseits um die Evolution, von der Ursuppe bis zum Menschen. Andererseits steht für das Duo aber auch der Akt der Entdeckung an sich im Vordergrund. Dazu haben Talbot und Deru ihr Werk in drei Teile untergliedert und sich auf ein Streicher Quartett und einen 10-Personen-Chor beschränkt. Bei dem Quartett handelt es sich um das Duke Quartet um die Violinistin Louisa Fuller, das Joby Talbot schon von der Zusammenabreit für "The Dying Swan" kennt. "Genus" besitzt ganz im Stil klassischer Musik Passagen mit Streichern und/oder Chor bzw. Gesangsstimmmen. Der Gesang wird aber auch teilweise transformiert und in kleinen Häppchen unterschiedlicher Länge zusätzlich zum Rhythmus als Taktgeber verwendet. Das findet seinen Höhepunkt in "Transmutation 3" und "Transmutation 4", beides sehr elektronisch dominierte Songs. Dafür sind die folgenden Songs wieder klassischer ausgerichtet. Lieder, die wie "The Great Tree Of Life 1" sehr viele gewollte oder ungewollte Prallelen erkennen lassen. So könnten Michael Nymen oder Philip Glass an den Songs beteiligt gewesen sein. Bei "Genus 2" assoziiert man die trauernde Violine mit Warren Ellis. "The Great Tree Of Life 2" erinnert ein wenig an Clint Mansell und das Kronos Quartet. Die Erinnerung an Philip Glass wird auch noch einmal in dem Video "Collection" geweckt, in dem alte Aufnahmen von Bewegungsstudien zu sehen sind, die auch schon das Cover von Glass' "The Photographer" zierten. Das alles sind Reminiszenzen, die nur ansatzweise beleuchten, welche Dramatik und Schönheit in diesem Werk steckt, das in einem großartigen Finale endet. Die beiden beigefügten Videos lassen einen die ohnehin schon begeisternde Musik aus einem noch einmal anderen Blickwinkel hören. Einfach Großartig!