Oh Anna, was ist nur geschehen? Nur wenige Monate nach dem wundervollen "Have you seen this ghost?" präsentiert uns Anna-Varney den dritten Teil der derzeitigen Sopor Aeternus Trilogie. "Children of the corn" erscheint wie gewohnt in vielen Varianten und ist ... für mich eine herbe Enttäuschung. Ehrlicherweise bin ich immernoch fassungslos, denn einen solchen inhaltlichen und qualitativen Bruch und Abstieg konnte man nun wirklich nicht erwarten. Aber fangen wir von vorne an: gerade einmal 35 Minuten Musik gönnt man dem Hörer – für ein Werk von Sopor Aeternus also fast schon weniger als eine EP, eingepackt im bisherigen Höhepunkt der Lustlosigkeit in Sachen Sonderedition. Wo sind die handgebundenen Photobände, Comics, edle Siegel, Kondome mit Schokogeschmack oder Grabschleifen? Ein Jutesack mit einem in Samt eingeschlagenen Digialbum. Punkt. Das T-Shirt wurde einfach mit dazugelegt. Wow. Und auch die Aufmachung innerhalb des Booklets wirkt... naja irgendwie flüchtig und lieblos. Zwar ist der Stil mal ein wenig anders, die künstlerische Masche, das ganze etwas moderner mit Farbminimierung zu bearbeiten mag gelungen sein, die Bilder selbst aber sind eben öde lieblos: Anna, Sicheln und Feldfrüchte – das wars. Die Texte sind einfach nur abgedruckt. Kurz: "Children of the corn" ist das Digialbum einer normalen Band. Ich aber kaufe und zahle für Sopor Aeternus und weiß damit seit mehreren Jahren, dass ich für mein Geld auch ein Gesamtkunstwerk bekomme. Und ich zahle immerhin 50 Euronen für den ganzen Krempel (und hatte bisher immer etwas dafür bekommen). Aber jetzt? Pustekuchen. Schweinerei. Meuterei. Naja, genug aufgeregt, lauschen wir mal. Zuallererst fällt beim ersten Durchlauf auf, dass die "Children of the corn" sich sehr vom Sopor Stil unterscheidet, der spätestens seit "La chambre d'echo" anno 2005 akut auf- und ausgebaut wurde. Die immer fröhlichere und fast schon ausgelassene Stimmung, die poppigen Elemente, die Elektronik und Epik, die Kinderchöre und der augenzwinkernde Spaß – all das findet sich auf dem aktuellen Werk nur noch rudimentär. Sopor Aeternus sind wieder wesentlich langsamer und jammernder geworden, erinnern mich sehr an die Phase der Alben "Dead lover's sarabande", "Songs from the inverted womb" und den Neuaufnamen "Es reiten die toten so schnell". Das mag im ersten Moment nichts Schlechtes sein, da Abwechslung ja immer gut tun kann und die letzten Alben bisweilen schon sehr ähnlich waren im Klangbild. Das große Problem an der Sache ist, dass ich mich zum ersten Mal beim Hören eines Sopor Aeternus Albums langweile. Es gibt zwar ganz klar mit dem Titelstück und mit "Bis zum Hahnenschrei" zwei wunderschöne und ruhige Stücke, demgegenüber stehen aber 1 kleines, nettes Zeitschinderli "Curse of the mummy", 3 langatmige Schnarcher und ein Aufreger ("Night of the scarecrow"). Die immergleiche Geschwindigkeit, das fehlen interessanter Melodien oder schöner Momente stehen dabei auf der zweiten Albumhälfte (eher zwei Drittel) im krassen (!!!) Gegensatz zu den ersten beiden Stücken und den letzten Alben. Also zunächst zur Haben-Seite: Das Titelstück ist ein liebevolles Wechselspiel aus orientalischen Klängen, zartem Gesang und Momenten, die mich an die Anfangsjahre des Projektes erinnern. "Bis zum Hahnenschrei" überzeugt durch den großartig geflüsterten Gesang, einem zartem Melodiekonstrukt und dem Bruch zum kraftvollen zweiten Teil, der die Melodieführung der letzten Jahre wieder aufgreift. Wenn das Album diese Qualität hätte halten können, ich hätte mich nur wenig über Verpackung und Spielzeit beschwert, weil es ein saustarkes Album geworden wäre. Aber nach diesen beiden Songs ist Schluss, man kann eigentlich ausmachen. Auf die Schnarcher "Cornflowers", "To walk behind the rows" und "Harvest moon" kann und will ich nicht eingehen – es sind halt eindeutig Sopor Stücke die weniger Spannung bieten als ein die 13te Staffel einer südamerikanischen Soap. Und dann ist da dieser Aufreger. Wer sich noch an "Imhotep" erinnert, einem elktronischen Stück vom "Chambre d'echo" Album, dem wünsche ich, dass er es sehr mochte. Denn "Night of the scarecrow" ist ein Instrumental mit ebenjener Melodie, die nun eben weniger elktronisch, dafür langsamer wiederholt wird. Das ist vor allem dann enttäuschend, wenn man weiß, dass diese fast 5 Minuten noch einmal die Gesamtspielzeit drücken - nun auf 30 Minuten. Und für Freunde der Sopor-Sondereditionen gab es übrigens noch eine Maxi CD von Infrarot obendrauf, wenn man alle Teile der Trilogie als Sonderedition bei Infrarot bestellt hatte. Und was hören wir da: eine 8 minütige Version von "Imhotep", langsam, mit Text und ziemlich schnarchig, eingepackt im beeindruckend hässlichen und lieblosen Digi. Klasse Bonus, ich kann meine Enttäuschung kaum in Worte fassen. Nach "Have you seen this ghost" hätte ich jedem, der Sopor Aeternus auch nur nett findet geraten, alles was da kommen mag blind zu kaufen, denn Anna-Varney kann nie nicht nein schlecht sein. 7 Monate danach erhalte ich die Rechnung für meine Euphorie und damit das schlechteste Album in der fast 20 jährigen Geschichte des Projektes. Zwar muss ich klarstellen, dass meine Enttäuschung auf musikalisch hohem Niveau stattfindet, Anna-Varney wie immer fantastisch singt und die Instrumentierung punktgenau und perfekt eingesetzt wird – doch wirkt dieser Perfektionismus inhaltlich leer. Es klingt für mich fast so wie eines der vielen Alben, die Musiker wegen vertraglicher Verpflichtungen herausbringen mussten und die deswegen weder Herzblut noch Mühe investiert haben. Soll dass die Zukunft sein, Anna-Varney? Bitte bitte nicht. Das würde mir das Herz zerreißen.