Skorbut ist eine Krankheit, die durch einen Mangel an Vitamin C ausgelöst wird und Symptome wie Zahnfleischbluten, Müdigkeit oder Erschöpfung nach sich zieht. Am Ende lassen Leistungsfähigkeit und Arbeitskraft erheblich nach und im weiteren Verlauf führt Skorbut zum Tod durch Herzschwäche. Gut, soviel zum medizinischen Exkurs. Wie kommt eine Band nun auf die Idee sich Skorbut zu nennen? Müdigkeit, Erschöpfung oder gar fehlende Arbeitskraft kann man dem Trio nicht vorwerfen, immerhin habe ich ein 12-Track-Werk mit einer Laufzeit von ca. 51 Minuten vor mir liegen. Bei „Access All Areas“ handelt es sich um das zweite Album der Band. Auch dem Sound kann man keine Mangelerscheinungen vorwerfen. Der Titel ist Programm. Von technoidem Electro über Industrialanleihen bis zu Oldschool EBM oder düster atmosphärischen Tracks. Skorbut unternehmen Ausflüge in etliche Musikstile. Dieses Markenzeichen prägt die Band seit ihrer Gründung. Die Erfahrung, die die Gründungsmitglieder Daniel Galda und Jörg Hüttner in diversen anderen Bands gesammelt haben, ist Grundlage für den Facettenreichtum. Galda war bereits bei „Kalte Farben“ und zudem als Live Keyboarder bei „Das Ich“ aktiv. Hüttner bei Bands wie „Relatives Menschsein“ und „Dorsetshire“; in den vergangenen Jahren arbeitete er vor allem an diversen Soundtracks mit, bspw. für „Catwoman“ und „The Ring 2“. 1993 lernten sich Daniel Galda und Jörg Hüttner im Studio von Das Ich kennen und verstärkten sich vor ihrem Debüt „Log_in“ (2001) mit Robert Pollich. Nach drei Jahren Abstinenz meldet sich das Trio nun mit „Access All Areas“ zurück. Die ersten Tracks konzentrieren sich auf die tanzbaren und aggressiven Sounds. Straighte Beats, monotone Bass-Sequenzen und mitreißende Soundstrukturen bestimmen den Einstieg der Platte. „In Zenith“ erreicht in seiner Mischung aus Gleichförmigkeit und sparsam aber gezielt eingesetzter experimenteller Verspieltheit eine Magie, die sich bis tief in die Gehörgänge bohrt und direkt dort hängen bleibt. Melodiös („Toxic Jesus“) und subtil anschwellend („Morbid Greetings“) arbeitet man sich zu den düsteren Strukturen des Oldschool EBM vor. Aggressiver Gesang und nostalgische EBM Strukturen bestimmen „Stahlbad“ und „Even If It Hurts“. Das technoide „World Is Beautiful“ leitet in den zweiten Teil der Reise. Scheinbar altbekannte Flächen und Loops geben eine unterschwellige Retrospektive auf vergangene Technozeiten bevor zum Ende der Platte die musikalische Reise durch die ruhigeren und melodiöseren Gefilde der dunklen Elektromusik geht. Das Sprachsample „Jungs, was hättet ihr gern noch gemacht bevor ihr sterbt?“ leitet „Evakuierung der Seele“ ein. Ein minimalistisches Soundgerüst unterlegt die auf erzählerische Weise vorgetragenen Lyrics, gelegentlich unterbrochen von einem verzweifelten „Ich will hier raus“-Einspieler. Der Sänger wird zum Erzähler, die Musik zur Geschichte. Der unterkühlte und atmosphärische Chillout-Sound steht der Band gut zu Gesicht. Wunderbar durchdacht, tiefgründig und eigenständig. Ein wahrlich prächtiges Ende der wundersamen Reise. Die LP ist alles andere als ein Konzeptalbum. Will der Hörer einen roten Faden und konstanten Tiefgang ist er hier sicher fehl am Platz. Viel mehr bietet „Access All Areas“ eine musikalische Reise durch die düsteren Stile der elektronischen Musik in den unterschiedlichsten Stimmungen, Härtegraden und experimentellen Soundstrukturen. Ein Stolperstein, der bewusst eingesetzt wurde, über den jedoch sicher einige Hörer straucheln werden. Dennoch verbergen sich einige besondere Perlen auf dem Reiseweg. Am Ende soll noch die Herkunft des Bandnamens geklärt werden: In einem Interview erklärt Galda, der Name sei auf den damaligen ungesunden Lebensstil und der einseitigen Ernährung der Gründungsmitglieder zurückzuführen. Ein Freund prophezeite ihnen daraufhin Skorbut. Noch einmal Glück gehabt…würde ich da sagen.