Zwischen Ambient, Noise und Feldaufnahmen pendelt Sister Overdrive alias Giannis Kotsonis auf seinem neuen Album "Annick/Philomela". Ein Album, das aus zwei Teilen mit je fünf Stücken besteht. Von Beginn an ist klar, dass die "Annick"-Reihe keine leichte Kost wird. Sister Overdrive stürzt sich in düstere Soundexperimente, die von allerlei Geräuschen und Feldaufnahmen begleitet werden. Hier hört man ein Quietsche-Entchen, dort eine zugeschlagene Tür und dann wieder Straßenlärm oder Grillenzirpen. Das düstere und manchmal kaum hörbare Timbre dieser fünf Tracks hat etwas trügerisches, denn die Geräusche lassen die Tracks mit dem alltäglichen Leben verwischen, heben die Trennung zwischen Hören und Sehen auf und können so paranoide Wahnvorstellungen erzeugen. Bisweilen gewinnen die Geräusche auch noch über längere Zeit die Oberhand. Dann fühlt man sich in diesen seltsamen Klangwelten fast verloren. Es knarzt und rauscht an allen Ecken und Enden, obwohl die fünf Stücke im Grunde sehr ruhig gehalten sind. Da braucht es schon ein paar Anläufe, bis man sich an dieses Schauspiel der Töne und Geräusche gewöhnt hat. "Philomela" ist da etwas anders gelagert. Die fünf Songs schrieb Sister Overdrive für eine Theaterproduktion zum sechsten Buch der Metamorphosen von Ovid, in dem Philomela von Tereus, dem Mann ihrer Schwester Prokne, vergewaltigt wird und von ihm auch noch die Zunge abgeschnitten bekommt, damit sie nichts über diese Tat erzählen kann. Philomela kann ihrer Schwester Prokne dennoch über eine Stickerei von dem Verbrechen berichten und beide rächen sich an Tereus, indem sie ihm seinen Sohn als Braten servieren. Als Schwalbe und Nachtigall fliehen beide, Tereus verwandelt sich in einen Wiedehopf. Diese Gräueltaten werden von ungleich düsterer Musik begleitet, die natürlich die Feldaufnahmen nicht außen vorlassen, aber auch Chöre und Einzelgesänge enthalten. Dazu erklingen düstere Drones, die der Geschichte die nötige Schwermut und Dramatik verleihen. Seltsame Geräusche kommen zwar zur Anwendung, im Vergleich zu den fünf Annick-Songs aber in deutlich geringerem Umfang. Doch auch "Philomela" erschließt sich nicht sofort und will erarbeitet sein. Wer sich auf dieses sperrige Album des Griechen einlässt, erfährt mit "Annick/Philomela" sicherlich Hörerlebnis der besonderen Art.