Wir könnten vielleicht tagelang darüber fachsimpeln, welchen Stellenwert ein selektiver Back-Katalog in der heimischen Plattensammlung noch hat & ob die Frauenzimmer aus Ostelbien tatsächlich tugendhaft sind... Sara Noxx jedoch argumentiert mit einem flotten Dreier nach der frühsozialistischen Frida-Hockauf-Methode. Sprachlos macht dies sicher nicht nur altgediente Best-Of-Prahlhänse, DJ-Archivare & Konkursmasse-Ausschlachter. Jene müssen gerade zähneknirschend eine neue Höhe der Messlatte akzeptieren. Das ist durchaus angenehm in Zeiten, wo es auch auf dem Indie-Tönemarkt nur so wimmelt von glatt gebügelten Selbstdarstellungen. So etwas wie Schadenfreude kann nach XX-RAY eigentlich nur noch derjenige empfinden, welcher sich ernsthaft Gedanken darüber macht wie sie sich selbst in Zukunft da noch übertreffen will. Fans werden nicht, wegen etwaiger neuer Bonustracks oder noch unveröffentlichtem Material, genötigt diese Edition zu erstehen. Wer die Lady kennt - dem kann die erste CD gar nicht biografisch & persönlich genug sein - wer nicht, den beneidet man darum, dass er ihren unterkühlten Charme jetzt für sich entdecken kann. Die Auswahl & Produktion ist ein Zeugnis bewundernswerter Ausdauer & mit "Under The Yellow Sun" startet sie dezent vom alten Startblock. Kein Hit-Opening-Track für ein danach vielleicht nur noch rasant abkackendes Album. Keine Werkschau im klassischen Sinne, sortiert nach Verkaufszahlen, Image oder eindeutiger Differenzierbarkeit zwischen den referenzierten Liebesdiensten der letzten 10 Jahre. Beherzt wie eine Lottofee mischte sie ihre 21 Kugeln & spielt noch einmal souverän mit dem Los der Emotionen... feuert die frisch abgepuderten Wortkaskaden nur so ab. Love hurts & love is a drug. Kultivierter Sprechgesang, der erst Brand- & dann Markenzeichen wurde, als zeitloses Mixtape voll abgeklärtem, mal düsterem & atemberaubendem Wave. Frauen brauchen Aufmerksamkeit, Austausch, Nähe & neue Kleider... warum also nicht auf der zweiten Scheibe den vorhandenen Vintage-Look mit ein paar neuen Applikationen aufbürsten. Da man dem Vorab-Club-Rotierer mit Project Pitchfork schon mehrfach eine elitäre Auswahl an Veredlern nachsagte, bleibt mir jetzt nur noch der Evergreen: Diamonds are a girl's best friend! Die weiße Boxset-Cover-Fläche bietet, regelrecht symbolisch, für jede erdenkliche Spielart den nötigen Raum etwas hineinzuprojezieren. Damit sich dies aber nicht im puren Remix-Brimborium verliert, hat Sara Noxx hier in Form von Duetten ohne mit der Wimper zu zucken, selbst noch Hand angelegt. Als erstes geht's, kraftvoll & doch melodisch, mit Angelo Bergamini oral zu Sache. Feindflug, martial & kämpferisch wie immer, kommen nun bei ihren "WarGames" auch mal ohne Sample aus. Die Patenbrigade machen gar aus "Winter again" ein clubby-frisches Sonnenbad nebst zusätzlichen weiblichen Backing-Vocals. Seabound sorgen charmant für sphärischen Wohlfühlcharakter, Mona Mur rockt selbst ASP an die Wand, Mechanical Moth zappeln sich heftig einen rein & Diorama gehen etwas melancholischer an den "Earth Song" als ihre Vorgänger. Überraschenderweise kommen meine Highlights hierauf von P.A.L. & Letzte Instanz, obwohl man eigentlich gar keine Tracks besonders hervorheben kann & will. Die verschiedenen Interpretationen desselben Textes zu vergleichen hat wahrhaftig seinen Reiz & merkwürdig (fast) alles sitzt, nichts drückt oder sorgt für Beklemmungen im neuen Korsett. In der Regel ist man jetzt schon mehr als gesättigt. Jedoch, die zwanglos Weltläufigkeit demonstrierende Gastgeberin serviert schon die nächste Platte & verzierte ihre abschließenden Käsehäppchen mit den allseits beliebten bunten Fähnchen. Kleiner Scherz zur Auflockerung... Die Mini-Flaggen auf der Cover-Rückseite dienen einfach nur dem leichteren Verständnis: dass Auto Auto keine Band aus Zuffenhausen ist, Frozen Autumn ganz sicher aus der sengenden Hitze Italiens stammen & Dark Territory wahrscheinlich sinngemäß den Nachbarn Holland beschreibt. Tja, Frauen mögen's halt auch exotisch & deswegen gibt’s nun noch 'ne Sammlung babylonischer Lyrixx. Ein solches Unterfangen ist nicht ganz ungefährlich, viele prominente Kollegen sind schon daran gescheitert... jedoch erfolgt hier die Erschließung der Texte, & die Beantwortung der Frage: was das jetzt in mir frei setzt, ebenso mit einer leichtfüßigen Eleganz. Trotz diverser instrumenteller Unterschiede herrscht auch hier ein gewisses Szene-Selbstverständnis vor. Umso erfrischender ist dabei die Feststellung, dass man anhand unverhoffter folkloristischer Partikel schon unterscheiden kann wer beispielsweise aus Ägypten, Japan oder Bulgarien kommt. Gothika, quasi die Urväter des Cosplay, eröffnen den Reiseführer... Nouvelle Culture & Sunao Inami sind für mich die eindrucksvollsten Botschafter. Grundsätzlich könnte man jetzt schon wieder tagelang darüber fachsimpeln, ob man das lieben oder hassen sollte, was 10, 20 Jahre Ältere musikalisch so mögen. Aber dieses Boxset ist kein echter Lebensratgeber. Es ist im weiten Feld der Ästhetik angesiedelt, genetisch dem XX verhaftet. Summa sumarum eine wirklich runde Sache & somit gibts auch die volle Punktzahl. Mädels sind halt Streber ;-)