Das omnipräsente Medium Facebook wartet seit einigen Tagen mit der App eines Drittanbieters aus, die denkfaulen Nutzern per Zufallsgenerator den „Leitspruch fürs Leben“ auswürfelt und in die Chronik postet. Einen ähnlich tickenden Floskelschöpfer vermag ich in so manchen Musikredaktionen bekannter Medienhäuser zu auszumachen. Nicht selten bestehen Rezensionen aktueller CD-Neuveröffentlichungen nur aus zusammengebastelten Satzbausteinen, die in ähnlicher Form quasi unter jede Albumbesprechung gesetzt werden könnten. Da hat hörbar eine „Weiterentwicklung“ stattgefunden, die Band habe „zu sich selbst gefunden“ und überhaupt sei der vorliegende Output das „ehrlichste Werk“ der Protagonisten.

Lassen wir die abgenudelten Redewendungen mal beiseite und wundern uns über publizierte Einschätzungen zum zweiten Rryoce-Album „Karoshi“. Neben dem nachvollziehbaren Lob für knapp 40 Minuten hochprofessionell produzierten, eingängigen Electro-Wave, wurde bislang u.a. auch eine „konsequente Vertiefung des Sounds vom Debütalbum“ oder „große Ähnlichkeiten zum Erstling Dreams, Doubts & Fears“ herausgehört. Vielleicht ist es unverschämt, an dieser Stelle in fiese Rezensenten-Schelte abzugleiten, aber mal ganz ehrlich im Real-Talk: „What the hell are they listening to?“ Die Songs des Vorgängeralbums wiesen gleichermaßen Ohrwurmcharakter wie kernigen Gesang auf, aber ansonsten sind die Parallelen zu „Karoshi“ aus meiner Sicht nicht derart groß, wie schreibende Hörer bislang notierten.

Eine Twitternachricht über den ersten Longplayer des emsigen Dortmunder Trios könnte wie folgt lauten: Elektronisch, düster - And One meets Future Pop in Moll Zu Karoshi: Klassische Popstrukturen mit hymnischen Refrains, umrandet von einer elektronisch-gitarresken Soundkulisse Waren das jetzt mehr als 140 Zeichen? Und wenn schon! Über die im eigenen Label „Kayal Records“ veröffentlichte CD könnte schon ein durchschnittlich faszinierter Fan sicher einen halben Roman schreiben. Ganz selten habe ich zuletzt ein Album genießen dürfen, das eine derart hohe Hitdichte aufweist und sich dennoch nicht an den Massengeschmack anzubiedern braucht.

Beim absoluten Knaller „Principle Of Grace“ sorgen kernige Synths für jene Melodie, die sich nach 2-3 Durchläufen über Wochen im Gehörgang festsetzt, der mutmaßlich mehrspurig aufgenommene Gesang firmiert im Chorus mit einfachen, aber stilbildenden Gitarrenriffs und kreiert ein 3:30 Minuten kurzes Stück Musik, das vor 25 Jahren gewiss ein Top10-Hit gewesen wäre - in der heutigen Zeit hoffentlich nicht zwischen dicht gedrängten Fast-Food-Musik-Angeboten untergehen wird. „Who Needs“ betont den wavigen Grundtenor der CD noch eine Nuance deutlicher, bevor spätestens ab „The Dying Of The Pride“ der Fokus weg von treibenden Hooklines, hin zu verspielteren Arrangements mit interessanten Wendungen innerhalb eines Songs gelegt wird. Wer unbedingt irgendwo „And One“ heraushören möchte, kann dies bei „Siamese Dreaming“ noch am Ehesten, fließen doch dort ein paar bekannte Sounds aus dem „S.T.O.P.“-Album der Genrekönige mit ein.

Für mich startet das Hitfeuerwerk spätestens ab Song 7 „Running With The Sheep“ erneut durch. Ähnlich wie beim pointierten „I Like It When You Lie“ demonstrieren Rroyce nicht nur ihr Talent, sozialkritische Texte mit persönlichen Lebensgeschichten zu verknüpfen, sondern auch im Klangbild verschiedene Einflüsse der jüngeren und älteren Musikgeschichte aufzugreifen. Dance-Elemente aus den 90ern? Check. Groovig-hallender Stadionsound der späteren Depeche Mode? Check („One, two, three, four“). Laut Pressetext kommt im melodisch traumhaft schönen „You Don’t Belong“ auch ein Statement gegen Homophobie und Diskriminierung nicht zu kurz. So wichtig derlei Standpunkte auch sind, kann ich diese dem im Booklet abgedruckten Songtext nicht entnehmen. Aber die Interpretation komplexer Lyrik aller Art war schon in der Schule immer ein mittelschweres Problem, insofern ist die Band hier nur äußerst bedingt schuldig. Vielleicht setze ich mich einfach noch einmal hin, drücke 17 Mal auf Repeat und genieße das rundum gelungene „Karoshi“ noch einige weitere Durchläufe. Irgendwann müsste ich die Texte dann endgültig korrekt eingeordnet haben. Was würde der Floskelcomputer jetzt wohl schreiben? „Auf diese Band wird zu achten sein.“ Passt, oder?