Es ist eine fast schon unlösbare Aufgabe, sich dem neuesten Werk von Rome zuzuwenden und eine Kritik zu verfassen. "Die Æsthetik der Herrschaftsfreiheit" ist der ambitionierte Versuch, ein Monument des Widerstandes zu erschaffen, die Revolution als zentrales Thema im Schaffen Jérôme Reuters. Wichtig ist dabei, dass an dieser Stelle die Sonderedition besprochen wird, ist doch diese Veröffentlichungsform ausschlaggebend für meinen Eindruck und die Gesamtbewertung. Ich halte also eine Din A5 Hülle in den Händen, spröde verpackt in rauhen Stoff. Der einzige Aufdruck zeigt den Namen des Werkes. Keine Symbole, keine verschnörkelte Schrift. In der Hülle finden sich 3 bücherartige CD Hüllen, wieder eingebunden in Stoff, wieder sehr minimalistisch bedruckt. Die drei Teile wurden "Aufbruch", "Aufruhr" und "Aufgabe" genannt und sind inhaltlich und (in gewissem Rahmen) musikalisch voneinander entsprechend der Titel getrennt. Rome haben sich innerhalb kürzester Zeit zu eine der bekanntesten und produktivsten Formationen des gegenwärtigen Neofolkes entwickelt. Seit dem Debut "Nera" im Jahre 2006 erschienen einschließlich des vorliegenden Werkes allein schon 5 Alben (plus anderer Beiträge und EPs). Innerhalb dieser Werke fand und findet eine ständige Wandlung im Musikbild Romes statt. Begonnen hatte das Ganze mit einer wunderbaren aber zugegebenermaßen wenig kreativen Arbeit, deren Vorbilder eindeutig bei den großen Namen des Neofolkes zu suchen waren. Gelungene Alben, die insbesondere durch Reuters wundervolle Stimme noch einmal aufgewertet wurden. Dann fand ein Wandel statt, Rome entwickelten sich in Richtung einfach zugänglicher (und von einigen als zu seicht empfundenen) Klänge und zeigten eine Liebe für französische Chansons. Von den einen dafür gefeiert sprachen viele Alt-Neofolker von einem Ausverkauf. Rome würde die Tiefe abgehen, die "ihr" Musikstil haben sollte. Und ungeachtet der Bewertung dieser Entwicklung und ihrer Reaktionen ist zu vermelden, dass "Die Æsthetik der Herrschaftsfreiheit" wie eine Rückbesinnung in Richtung der ersten 3 Alben wirkt. Es sind wieder verstärkt elektronische Abschnitte und Unterbauten für den eigentlichen Folk zu finden, Samples finden verstärkt Platz in den einzelnen Liedern und Ambientparts tragen zur Schaffung eines Gesamtwerkes bei, bei dem alle Einzelbeiträge zu einem Ganzen zu gehören scheinen. In besonderen Maße sind es dann noch die Spoken Word Abschnitte wie das einleitende "The chronicles of Kronstadt", die "Die Æsthetik der Herrschaftsfreiheit" zu einem Konzeptalbum anhebt, dass den Hörer wirklich fesseln kann. Für eine solche Wirkung ist aber Zeit, Geduld, Aufmerksamkeit und das Studium der Booklets (also der Texte) notwendig. Denn "Die Æsthetik der Herrschaftsfreiheit" hat eine Achillesferse: Die Musik selbst. Denn allein die Überlegung, dass sich auf drei Alben mit jeweils 12 Titeln ungefähr 24 reine NeoFolksongs finden macht eines klar: es ist eine Menge Stoff, der da angehört werden will. Und da es im NeoFolk sowieso bereits schwer ist, Besonderes und Abwechslungsreiches zu schaffen, ist es für ein einzelnes Projekt noch einmal schwieriger, das selbe für 24 Lieder hinzubekommen, die alle denoch eindeutig den Stil des Projektes innehalten. Kurz: wenn man "Die Æsthetik der Herrschaftsfreiheit" einfach nur mal so durchhört fällt eine Unterscheidung der einzelnen Lieder mit der Zeit schwerer und schwerer. Ja, es fällt sogar schwer, am Ball zu bleiben und nicht abzuschalten. Auf jedem der Teile finden sich viele wunderschöne Titel, die allein schon aufgrund des Konzept-Album Umstandes nicht herausstechen dürfen. Aber diese Masse kann den Einzeltrack leicht gesichtslos machen. Würden die drei Alben im Abstand von sagen wir 3 Monaten mit unterschiedlichen Covern (wie es die Einzelteile haben, die ab Januar erhältlich sind) bei mir eintrudeln, dann würde ich dem ersten Album 5 Sterne geben, dem zweiten 4 mit der Kritik der Gleichförmigkeit im Sound und dem dritten wahrscheinlich 3,5 und eine schwere Rüge. Rome hätte sich auch ruhig noch ein wenig mehr Zeit lassen können um die einzelnen Melodien noch markenter und etwas bewegender zu gestalten (und eben nicht fast nur "schön"). "Die Æsthetik der Herrschaftsfreiheit" ist aber ein Werk, zusammengehalten von einem Text-, Klang- und Bildkonzept, dass mich zumindest beeindruckt hat. NeoFolk, der ein anspruchsvolles Konzept transportiert ohne ideologische Bedenken zu wecken, die inzwischen fast mehr nerven als herausfordern. NeoFolk, der die typischen Merkmale beinhaltet, die so viele Bands nutzen zusammen mit Reuters einzigartiger Stimme. Und schließlich NeoFolk, der genau das schafft, was man an diesem Stil doch eigentlich liebt: hinter schönen und seichten Tönen versteckt sind aufrüttelnde Themen und ambivalente Stilmittel. Deswegen ist "Die Æsthetik der Herrschaftsfreiheit" in dieser Version absolut empfehlenswert.