Al Jourgensen hat viele Gesichter. Eins davon ist das des abgefuckten Genies, das nebenberuflich für ca. zwanzig Jahre als Drogen-Junkie tätig war. Ein anderes ist das des interaktiven Künstlers, der den Kultautoren William Burroughs zur Kollaboration überreden konnte („Just one fix“). Aber nicht zuletzt zeigte Mr. Jourgensen seine stärkste Visage mit der Erfindung des crunchy Industrial Metal. Und gerade mit dieser beträchtlichen Rock-Innovation ist er längst in die Geschichte der alternativen Rockmusik eingegangen. Und dieser Platz ist ihm für alle Zeiten nicht mehr streitig zu machen. Sein längst erwachsen gewordenes Baby Ministry hat er dabei ja bereits zu Grabe getragen. Seine Bühnen-Präsenz – wohl wissend, dass sein exzessiver Drogen-Konsum körperliche Spuren hinterlassen hat - ein für allemal beendet. (Der Mann ist halt intelligent genug, um nicht als traurige Industrial-Version von Ozzy Osbourne zu enden) Weitere Projekte wie Lard - mit Punk-Legende Jello Biafra - und Pailhead - zusammen mit dem Sänger der Punk/Hardcore-Oldskooler von Fugazi - soll recht zeitnah noch einmal kräftig-kreativ in den rockenden Hintern getreten werden. Es bleibt also spannend im Hause Jourgensen in Austin an der Grenze zu Texas. Sorry, da aber Al Jourgensen für mich einer der ganz Großen ist, musste vorangegangene Einleitung nun mal überproportional lang geraten. Jetzt aber zu den Revolting Cocks und deren vorerst letztem Werk „Sex-O-Olympic-O“, das in Kürze auch schon wieder als Remix-Version veröffentlich werden wird. Mein Gott; wie oft wurde dieser Release verschoben. Die Warterei war für den passionierten Fan schon sehr nervig, auch wenn man in dieser Hinsicht als alter Ministry-Fan schon einiges über sich ergehen lassen musste. Diejenigen, die es seinerzeit „live“ miterlebt durften, werden z.B. noch von der ständig verschobenen Veröffentlichung von „Psalm 69“ – wohl dem Ministry-Burner und Klassiker schlechthin - ein US Indutrial-Rock-Liedchen singen können. Mindestens viermal wurde diesmal die Veröffentlichung des vorliegenden Revco Werks verschoben. Leider scheint sich der alte Fuchs „Uncle Al“ aber diesmal verzockt zu haben. Durch die ständige Verzögerung des Release-Datums ist nämlich der Zustand eingetreten, dass kaum jemand (gebührende) Notiz von dem Album genommen hat. Dies ist sehr schade, denn auf diesen abgefahrenen Elektronik-Rock-Wave-Punk-Bastard lässt sich die alte Weisheit „Was lange währt, wird endlich gut!“ nämlich nur allzu adäquat anwenden. Nie habe ich die Cocks so ausgefeilt, so abwechslungsreich; aber auch so zugänglich erlebt. Ein ziemlicher Burner wurde hier gefertigt, der jeden alternativen Zappelphilip dorthin befördert, wo er tatsächlich hingehört: auf den Tanzboden des Lieblings-Clubs seiner Wahl. Hier ist aber wirklich beinahe für jeden Alternativ-Hörer musikalisch etwas dabei; außer vielleicht für den militanten Electro/EBM-Puristen sowie dem bierernsten Metalla. Diese sollten lieber weichen, für alle anderen heißt es: habt einfach tierischen Spaß mit dieser Scheibe! Nehmen wir z.B. das Stück „Robo Bandidos“. Hier wird eine überaus angenehme 80er Wave-Atmosphäre mit spaßigem mexikanischem Flair mittels einer extra engagierten spanischen Sprech-Sängerin versprüht. Die Gitarren sägen einfach, aber effektiv. Der Bass pumpt, Al schreit verzerrt im Hintergrund, auch der neue Revco-Sänger gibt sich vordergründig die allergrößte Mühe und einige Samples bieten zusätzliche Portion Würze. Das Ergebnis ist ein witziger Party Electro-Rock-Track, bei dem die Betonung eindeutig auf Rock liegt. Der unmittelbare Nachfolger „Cousins“ kommt noch zwingender daher. Dem refrainigen, mit ordentlich Hall unterlegtem „I walked down the street, walked down the hall?? kann sich samt seines ebenfalls leicht 80er haltigem Wave-Charmes auch kaum jemand entziehen. Ein heißer Track, den ich verdammt noch mal endlich mal in meiner Stamm-Disse hören will!. So eingängig, aber auch so unwiderstehlich hab ich die Revcos wirklich selten erlebt – Hammer! Bei „Touch-Screen“ wird es dann weniger rockig, der Bass und die gesamte Rhythmus-Sektion geben hier verstärkt den Ton an, es wird regelrecht funky. Nur eben auf die Fuck Up-Revco-Art. Der Sänger schraubt sich hier in geradezu ungeahnte, lustige Höhen und verlangt doch unverhohlen hauchend: „Touch yourself, touch yourself!“ Er tut dies aber ebenfalls so unwiderstehlich, dass man sich wiederum – zumindest mit dem Tanzen - kaum zurückhalten kann… Aber auch an Freunde aggressiverer, beinahe an Ministry gemahnender Härte, wurde gedacht. „I`m not gay“, das auf der letzten, der Abschieds-Ministry-Tour sehr clever als Appetizer der angeheizten, sehnsüchtig auf Ministry wartenden Meute zum Vorspiel in Form einer Tonkonserve gereicht wurde, fängt fast schon trancig an. Der permanent durchlaufende Sequenzer-Sound wird jedoch urplötzlich durch eine gewaltige Gitarren-Wand samt eines ziemlich verzerrt schreienden Jourgensen` gänsehäutigartig durchstoßen. Da schimmert er kurz durch, der so heiß geliebte Ministry-Sound, den das Metal-Fachblatt „Rockhard“ einst so treffend als „Brutalo Sound aus der Klappsmühle“ beschrieben halt. Alte Ministry/Revco-Fans wird es freuen, werden sie mit dem sehr aggressiven Stück “Abundant Redundancy“ ebenfalls ordentlich bedient. So wollen wir sie, die Spaß-Combo aus Texas. Schön chaotisch, durchgedreht und eine ganze Ecke abgefahrener und cooler als der Rest der Konkurrenz. Fein gemacht. Uncle Al zeigt mit knapp über Fünfzig wieder mal, dass er der einzige Steve Mc Queen des Alternative-Rocker war und ist: eben einfach einen ganzen Schuss cooler als alle Anderen. Und dafür liebe ich ihn und zum wirklich größten Teil auch dieses Album! Daher noch eine anschließende dringende Bitte: Al bleibt bitte bei deinem als Drogen-Substitut gewählten exzessiven Rotweinkonsum. Fass` bitte nie mehr die Nadel an und hau noch soviel Mucke wie nur irgend möglich in den nächsten Jahren heraus. Und vor allem: vergess` auch das bereits angedacht Projekt mit dem brutal prügelnden Slipknot-Schlagzeuger Joey Jordison, welches wohl eine der krassesten Outputs aller Zeiten werden soll, nicht. Bleib dran! Und zu guter Letzt muss noch hinsichtlich der Zukunft der Revolting Cocks ergänzt werden, dass sie analog zum ihrem großen Bruder eben nicht in die ewigen Jagdgründe des elektrischen Rock `n Rolls geschickt werden. Die verbliebenen jüngeren Cocks sollen das Ruder in Zukunft unter gleichem Namen übernehmen. Der Plattenboss der Thirteenth Planet Record Labels (Jourgensen in Personalunion) ist mit „Sex-O-Olympico-O“ jedoch definitiv ausgeschieden, es wird für ihn kein Zurück geben. Schade, sehr schade – wenn auch sehr weise und definitiv nicht mehr zu ändern.