Es geht uns in den Zeiten der Pandemie doch ähnlich: Wir sind recht viel zu Hause und da beginnen viele irgendwann, auch mal den Dachboden, den Keller und die Abstellkammer zu sichten, eventuelle Schätze zu entdecken und Ramsch über Bord zu werfen. So auch beim Medienkonverter geschehen. Ich sagte einmal zu laut "Ach, ich habe grad keine Alben, über die ich schreiben könnte" und stehe nun vor einem Berg von circa 58 Alben und Eps aus ungefähr 12 Jahren, die sich im Fundus angesammelt haben. Es werden sicherlich keine 58 Kritiken, aber der ein oder andere Text kommt wohl dabei herum. Mal sehen, ob sich auch Schätze fanden.

Optisch ist 'Anātman' sicherlich ein kleiner Schatz: Das wunderschöne Digipack aus dem Hause Aesthetic Death mit seinen alptraumgleichen Wurzelstrukturen und dem einen, bedrohlich wirkenden roten Fleck unter dem Wurzelwerk ist eines der hübscheren Motive der letzten Monate. Die drei Herren aus Weißrussland, die ihr Projekt Reido dem Genre Funeral Doom Metal entsprechend eher gemächlich vorantreiben, blicken in den 18 Jahren seit Gründung auf gerade einmal zwei weitere Longplayer zurück. Was erwartet also den interessierten Hörer auf Album Nummer drei? Überraschend viel Elektronik im Standartbrei aus düster drückenden Riffs und zähem Aufbau. Reido nehmen das Genre ernst und die vier Hauptstücke dauern entsprechend zwischen 8 und 17 Minuten. Hinzu kommt ein Intro und ein als Titelstück getarntes Zwischenspiel mit einer wirklich schönen elektronischen Hommage an 80er Soundtracks im Stile von Flucht aus New York unter einem düstere atmosphärischen Klangteppich. Die metallischen Walzen, die Reido auf 'Anātman' gebannt haben sind nicht unbedingt Hexenwerk, sondern stimmige Funeral Doom Kost. Drückende Gitarrenwände, finster unbarmherzige Growls, narkoleptisches Drumming und Melodien, die einer bedrückenden Atmosphäre deutlich den Vorrang geben – ich würde das Album nicht weiterempfehlen, damit man sich den ein oder anderen Track mal reinziehen kann, sondern, weil die Stunde Düsternis zumindest mir am Stück gute, bzw. schlechte Laune macht – vor allem ab dem dritten Song "Dirt fills my mouth". Und Reidos ungewöhnlich deutlicher Einsatz von Elektronik für atmosphärische Untermalung ist in meinen Ohren als positiv zu werten.

Es ist mal wieder eine Empfehlung mit vielen Wenns: Wenn man Funeral Doom mag / Wenn man eher Freude an einem gelungenen Rundumpaket mitsamt Verpackung hat / Wenn kompositorische Schwächen weniger relevant erscheinen als eine durchweg gleichbleibend bedrückende Stimmung / Wenn man, so wie ich, gerne beim Abschlußsong sieben Minuten wartet um dann einen kurzen, kraftvollen Instrumentalausbruch zu erleben, der sofort wieder im Moloch der Finsternis verschwindet, dann, ja dann ist dieses optisch wundervolle Werk seine Groschen wert!

 

Reido

Anātman


 

18.10.2019

Aesthetic Death


 

https://reido0.bandcamp.com/album/an-tman

 

01. Deathwave

02. The serpents's mission

03. Dirt fills my mouth

04. Liminal

05. Anātman

06. Vast emptiness, no holiness