Während Hitze und Mücken durch das Fliegennetz in mein Heim dringen und die Nachbarschaft auch das letzte Grundwasser auf den frisch getrimmten Rasen jagen steh ich 'Im Wald'. Denn Wintherr treibt mich mit seinem 23jährigen Projekt Paysage d'hivers in die direkt übersetzt stimmig klingende Winderlandschaft und ich frage mich, wie es zu diesem Releasedate kam. Aber nicht nur dies ist bemerkenswert bis verwunderlich an 'Im Wald', auch dass das zweistündige Werk nun als offizielles Debüt erscheint ist zumindest ungewöhnlich. Ja klar, der Rest unter dem Banner Paysage d'hivers galt als Demos, die reichen allerdings bis 1998 zurück, hatten oft normale Albumlänge oder sogar mit 90 Minuten epische Ausmaße und in meiner Sortierung ist vorliegendes Album entsprechend Nummer elf.

Und wie klingt nun das erste offiziell veröffentlichte Werk, das wieder unter Wintherrs eigenem Banner Kunsthall Records entstand und durch den Prophecy nahen Vertrieb SPKR unter die Leute gebracht wird? Ganz gut bis nett, erstaunlich aufgeräumt und im Hinblick auf die Diskographie nicht in den Top 3 der Paysage d'hivers Alben meiner Wahl. Dazu muss aber gesagt sein, dass all denen, die das Projekt und die andere Spielwiese des Herren, Darkspace, nicht kennen, selbst die Auskunft Black Metal nicht wirklich helfen wird bei Erstkontakt. Denn wenn ich bei 'Im Wald' von fast schon klarer Produktion spreche und von aufgeräumten, auf den Punkt kommenden Arrangements, dann liegt das ganz einfach daran, dass wir uns im lo-fi Ambient/Athmospheric Black Metal wiederfinden, und das lo-fi ist elementar. Man muss ein Faible für einen Sound haben, der klingt, als ob die Band am Ende eines Tunnels spielte, der Produzent die Sache mit einem Fisherprice Kasettendeck aufnahm und das Tape dann zum Ausreifen auf dem Amaturenbrett seines Autos durch den Sommer fuhr. Ach ja, und man sollte Lieder lieben, die 10 (oder noch besser 20) Minuten ohne große Bewegung vor sich hintönen und Spannung durch hypnotische Wiederholung und minimalste Veränderungen entwickelt. Toll, oder? Bereits auf dem ersten Demo 'Steineiche' hatte das Projekt einen morbiden und eigenen Sound, der sich in den Jahren immer wieder in Nuancen weiterentwickelte aber trotz enger Genregrenzen und quasi identischem Sound bei hunderten Bands von ebenjenen abgrenzte und wiedererkennbare Kunst darstellte. Für ein kleines Publikum, mag sein, aber in diesen Kreisen sind Paysage d'hivers eine Bastion. Und 'Im Wald' ist durch den Schritt vorwärts fast ein Schritt zurück. Denn die mit durchschnittlich 9 bis 12 Minuten fast schon straffen Nummern, die selbstredend mit Ambientstücken getrennt wurden, sind typisch – aber eher für das Subgenre ansich und nicht für die Band im Speziellen. Vielleicht hätte die Violine mich auf Paysage d'hivers gebracht, taucht sie doch seit jeher immer wieder im Soundbrei auf, aber ansonsten sitzt 'Im Wald' nun zwischen zwei Stühlen. Hatte man bisher einen Sound, der eigentlich nur mit Brei beschrieben werden kann, aber dadurch ungewöhnliche, dumpfe oder schräge Elemente beinhaltete, die man insbesondere beim wiederholten Hören herauspickte und lieben lernte, so hört man hier bereits beim ersten Durchlauf alles heraus, die Gitarren sägen unerhört klar vor sich hin, man hört mindestens 80% des Drummings und das Tunnelfauchen, das nicht ohne intensive Verzerrung auskommt ist 2020 sehr nah an Mitbewerbern des Genres. Denoch ist die Produktion zu verwaschen, um besondere Schmankerl bei einzelnen Songs, wie eben Violinenparts, Keyboardmelodien oder ähnliches wirklich greifen zu können. Dadurch verfalle ich auch etwas weniger intensiv in eine Trance und das Album ist dann durch die Länge und die ausbleibende Ergriffenheit eher eine Herausforderung in Sachen Gesamtdurchlauf, einzelne Songs jedoch können in diesem Genre kaum ausreichen, um so richtig in die passende Stimmung zu kommen.

Nein, 'Im Wald' ist nicht schlecht. Und nein, mein Urteil ist nicht entgültig – vielleicht tut sich da was, wenn ich im Winter mit 'Im Wald' auf den Ohren im Wald stehe und gehe bei meinen regelmäßigen Harzausflügen. Ich bin mir sicher, dass "Im Winterwald" mit der an frühe Lunar Aurora erinnernden Keyboardeinlage im Mittelteil, die mystische Raserei "Stimmen im Wald" mit den Chorelementen und mein Favorit "Weiter immer weiter" mit dem vorantreibend immer wieder wiederholten "Weiter" zum Abschluss nicht das letzte Mal in meine Ohren drangen. Aber frühere Werke, insbesondere die 'Steineiche', das selbstbetitelte Demo und das wunderbare 'Die Festung' verzauberten mich in ihrer Gesamtheit schneller und intensiver. Vielleicht ist es aber auch lange her und ich komme nicht mehr so schnell in die für diesen Sound notwendige Stimmung. Und mein Text klingt negativer als er gemeint ist, denn Paysage d'hivers sind auch auf 'Im Wald' etwas besonderes. Es ist so schwer mit Musik, die nur durch die Wirkung punkten kann und sich kaum an objektiven Markierungen messen oder bewerten lässt.

 

 

Paysage d'hivers

Im Wald


 

26.06.2020

Kunsthall Records / SPKR

 

https://paysagedhiver.bandcamp.com/album/im-wald

 

01. Im Winterwald
02. Über den Bäumen
03. Schneeglitzern
04. Alt
05. Wurzel
06. Stimmen im Wald
07. Flug
08. Le rêve lucide
09. Eulengesang
10. Kälteschauer
11. Verweilen
12. Weiter, immer weiter
13. So hallt es wider