Was für eine Band! Sind sich die Musik-Gelehrten schon lange darüber einig, dass Paradise Lost die definitiven Erfinder des Gothic Metals sind, haben sie während ihrer nunmehr 19 Jahre währenden Karriere schon so manche musikalische Metamorphose durchlaufen. Zu Beginn sprichwörtlich noch mit ihren Death Metal-Wurzeln spielend, ging es dann später über Gothic Metal in absoluter Perfektion („Icon“) bis hin zu Depeche Mode-ähnlichen Sounds, bei denen gelegentliche Klänge der Sechssaiter nur noch eine nette atmosphärische Dreingabe darstellten („Host“). Um diese dritte große Evolutionsstufe dann noch optisch auf die Spitze zu treiben, posierten die Herren aus Yorkshire mit kurzen Haaren und in Designer-Anzügen auf dem Cover dieser extrem diskutierten Scheibe. Nichtsdestotrotz, bot auch diese Veröffentlichung etliche (und halt ziemlich elektronische) Ohrwürmer. Stichwort Ohrwürmer. Paradise Lost waren eben schon immer für exquisites Songwriting bekannt; jedes Album wurde somit auch dankenswerterweise durch sehr wenig Füllmaterial künstlich aufgebläht. Und jetzt kommt „Faith Divides Us; Death Unites Us“ und macht genau da weiter, wo die letzten Alben aufgehört haben. Nämlich bei einem deutlich düsteren und metallischeren Sound. Parallel dazu sind die Haare wieder länger geworden und dies alles steht den Mannen aus dem „verlorenen Paradies“ nur allzu gut zu Gesicht. Gleich der Opener „As Horizons Fail“ ließ mich beim ersten Check schon fast ehrfurchtsvoll auf die Knie sinken. So organisch, so mächtig haben sich die Fünf – in Interviews auch ordentlich den Sympathikus berührenden Engländer - schon seit über einem dutzend Jahren nicht mehr angehört! Diese dunkle und kraftvolle Energie bringt mir vor Freude fast die Tränen ins Knopfloch. Der Sound erinnert wahrlich an die Glanzzeiten des gothischen Metalls. Damals, bevor diese ganzen klischeesierten, kitschigen Bands - die m.E. oft zu Unrecht mit dem Etikett „Gothic Metall“ auf dem schwarzen Revers rumlaufen - auf die Bühne traten. (Leider ist der Markt von diesen Combos ja mittlerweile geradezu überschwemmt und mir kommt bisweilen regelrecht der Sauerbraten vom letzten Wochenende hoch, wenn ich diese Miniaturkünstler mit ihren gestärkten Rüschenhemden um die Ohrlappen gedroschen bekomme. Aber diese, meine Meinung nur am Rande…) Paradise Lost riffen, wie sie schon lange nicht mehr gerifft haben. Wahre Gitarren-Wände werden hier von Meister-Maurern hochgezogen. Und über diesem Soundwall thront wieder und immer wieder Gregor Mackintosh`s Lead-Gitarre. Und wenn dann noch genau zum richtigen Zeitpunkt Nick Holmes Stimme so kräftig wie selten zuvor mit einem fesselnden Refrain einsetzt, schlägt das Herz des Metallas mit der Neigung zur kraftvollen Melancholie bis zum Hals und drüber hinaus: Gänsehautalarm! Ein Sound, der wie ein majestätischer Adler über Berg und Tal schwebt und in diesem Genre sicher unerreicht ist. Ein gutes Beispiel für die wieder entdeckte Härte im Hause Paradise Lost ist z.B. „Frail“. Nach ruhigem Intro bricht nach ca. 40 Sekunden ein richtig kleines Inferno los. Wären die Gitarren hier noch ein wenig tiefer gestimmt, noch eine Spur schneller gepleckt worden, könnte man sich fast in einem Black Metal-Film wähnen. Und das macht richtig Laune; zumal die anderen Trademarks des Sounds aus dem verlorenen Paradies hier auch wieder stimmig verwoben werden. Ähnlich hart bratzen die Klampfen auch auf „Living with scars“. Sauber und fast auf Death Metal-Härte-Niveau gezockt. Das PL-Sound-Szenario hat an dieser Stelle mit dem „Host“-Album dann noch so viel zu tun, wie die zwölf Aposteln mit `ner Hells Angels-Gang. Und dies überrascht gerade beim ersten Durchlauf doch schon ziemlich extrem, aber eben auch sehr angenehm. Auch das Songwriting besitzt wieder einmal genug Elemente der Güteklasse A. Von der Hitdichte her kommt das Werk zwar nicht ganz an das Überalbum „Icon“ heran, aber dies kann den überaus empfehlenswerten Gesamteindruck wahrlich nicht schmälern. Jeder, der nur annähernd eine Ader für diese Musik besitzt, sollte dieses Pracht-Scheibchen am besten also selbst reinlegen, staunen und genießen. Es lohnt sich wahrlich.