In all den Jahren, in denen ich für den Medienkonverter schreibe, saß ich noch nie so lange an einer Kritik und habe mir vor allem so viele Gedanken gemacht. Ich habe alle möglichen Varianten der Bearbeitung und die aus dem Artikel folgenden Reaktionen durchgespielt und mich immer wieder gefragt, ob und wie ich mich an dieses Album und seine Inhalte heranwage. Ich bin kein Freund der Cancel Culture, jenem Begriff, der in letzter Zeit zum Modebegriff geworden ist und in Debatten oder in der Berichterstattung oft Raum einnimmt. Cancel Culture meint starkt verknappt den Boykott von Personen aufgrund ihrer vorausgegangenen Aussagen. Offen verfassungsfeindliche und rechtswidrige Texte oder Booklets, ja, da ist meine nicht über jeden Zweifel erhabene Grenze erreicht, aber ich trenne häufig Musiker und Werk und kann dadurch in meinen Lieblingsgenres Black Metal und Neo Folk ein wenig mehr hören. Und ich kann aufgrund meiner mir selbst nie perfekt erscheinenden Grenze unendliche Diskussionen mit Freunden führen, die diese als zu lasch ansehen. Ich möchte hier auch keinen Artikel darüber schreiben, wie schlimm ich es finde, dass sich an vielen Orten der Welt die Herzen in Richtung einer konservativeren, regressiveren Ordnung bewegen. Das gehört nicht zu meinem Auftrag an dieser Stelle in einem Text zu einem musikalischen Werk. Dieser politische und gesellschaftliche Auftrag bleibt in meinem wahren Leben, in meinem Job. Ich möchte hier kurz über die musikalischen Qualitäten einer neuen Veröffentlichung schreiben, etwas mehr über meine Gedanken zu den transportierten Inhalten und zum Abschluss auf der Metaebene die dadurch mitschwingenden Probleme aufzählen.

Orplid sind im Bereich Neo Folk und Neo Klassik deutlich einer der großen Namen in Deutschland. Das 1996 in Halle von Uwe Nolte und Frank Machau gegründete Projekt hat in den Jahren und auf zahlreichen Alben einerseits stets den Mut zum Wandel, zur Innovations des eigenen Sounds und andererseits einen hohen Wiedererkennungswert erschaffen. Das liegt vor allem, aber nicht nur am altmodisch-klassischem, ungemein kraftvollem Gesang, aber es sind auch die Kompositionen und vor allem die auf den letzten Alben immer stärker in den Fokus geratene Liebäugelei mit elektronischen Klanggebilden, die ich selbst sehr schätze.'Greifenherz' war und ist seit 2008 eines meiner Lieblingsalben des Genres, das möchte ich trotz der noch folgenden Gedanken feststellen. Und wenn man sich mit Orplid nun eben befasst, dann weiß man, dass die Musiker selbst, vor allem Uwe Nolte mit Neurechten Kreisen häufiger anbandeln, in Gedichten und im Netz bereits deutlicher Stellung bezogen und ich ermuntere jeden Interessierten dazu, sich in die Materie einzulesen. Bisher kam ich mit mittelschlechtem Gewissen damit klar. Ich wusste, dass Uwe Nolte mit seinen klassischen, deutschen und zum Teil schwülstigen Texten Interpretationsspielraum zuließ, der einer politischen Gruppierung gefallen könnte, die ich nicht unterstütze. Denn wie so oft im Neo Folk waren die Texte wenig direkt und auch ich linke Socke habe ein Faible für Texte über frühere Zeiten, Natur, Sagengestalten und Gottheiten. Leicht fiel mir das Wissen, dass ich da jemanden zuhöre, mit dessen Ansichten ich mich so gar nicht identifizieren kann nie, aber so geht es mir mit so einigen Vertretern des Genres... ich möchte fast von einer Mehrheit sprechen.

Aber kann denn 'Deus Vult' als erstes Album nach 12 Jahren Pause musikalisch etwas, das diese ausufernde Einleitung verdient? Die Antwort ist in meinen Ohren ein klares Nein mit Tendenz zum Jain. Das über 70minütige Werk ist großartig programmierte Behäbigkeit mit tollem Gesang. Bis auf ganz wenige Ausnahmen haben sich Orplid dazu entschieden, alle wirklichen Songs homogen, ruhig, nett aber zu keinem Zeitpunkt mitreißend zu gestalten. Was bei "Jan Palach" und "Madonna von Stalingrad" noch angenehm erscheint, wird mir irgendwann zu gleichförmig und schlicht langweilig. Es passiert musikalisch so gut wie gar nichts, für Ambient ists aber noch zu strukturiert. Es wirkt, als ob man die alte Formel früherer Werke sediert habe und nun das Ergebnis betäubt aus den Boxen kriecht. Und so ziehen die Songs an mir vorbei und wenn ich mich zwinge, mich wieder auf das Nicht-Geschehen zu konzentrieren, dann höre ich einzig tolle Intrumentierung, Programmierung, Gesang und nahezu durchgehend fehlende musikalische Ideen – einzige Ausnahme: "Deutschland 2016", das kurz musikalisches Leben beweist. Ein krasser Wandel, wenn ich da an 'Greifenherz' erinnere.

Und die Texte? Tja, in der Vorankündigung las man: Benannt nach dem Motto der Kreuzzüge "Deus Vult" drückt ihr siebtes Album in 72 Minuten prägnant die Bereitschaft des Duos aus, das Abendland und seine Traditionen zu bewahren. [...] Der Kampf und Tod für eine Sache ist ein Hauptmotiv [...] "Es geht darin um Habgier und das, was geschieht, wenn man das Eigene vergisst.", so Nolte abschließend. "Die Krankheit der Gegenwart ist die Entfremdung - und Orplid liefern die Medizin." (Pressetext)

Ja, 'Deus Vult', also 'Gott will es' – so lautete der Leitspruch der Kreuzzüge, also jene politisch motivierten Einkaufstouren der Europäer, die auf ihren Wegen ins gelobte Land nicht nur Freude verbreiteten. Alle Handlungen, die deutlich gegen die Gebote und die christlichen Lehren verstießen wurden mit eben jenem 'Deus Vult' entschuldigt. Ich würde 'Deus Vult' ja nur in Zusammenhang mit einer Aufarbeitung wagen oder einem Vergleich der letztendlich bereits damals wirtschaftsbeeinflussten Kriegspolitik des Westens mit der heutigen nennen oder ironisch verwenden, aber so sehr ich auch die Texte des Albums überdenke, ich glaube, Gott will anscheinend ernsthaft die Bewahrung des Abendlandes und seiner Traditionen. Nun gut, not my cup of coffee, denn für spirituelle Fragen bin ich zu wenig geschult. Sicher ist aber, dass Orplid mit der Entscheidung, nun klarere, fast schon klare politische Statements in ihr musikalisches Schaffen einzubinden in meinen Augen vieles verändern. Denn nun höre ich keine verschachtelten Geheimnisse, sondern muss auch die Aussagen außerhalb des Albums ernster nehmen, denn auch so klingen Orplid:

Genossen & GenossInnen, wegen der imperialistischen Quarauna-Attacke kommt es zu leichten Verzögerungen bei der Pressung nächster Tonträger. Aber die Bremsung birgt auch Positives: das Begleitbuch zur Orplid-Vinylbox ist inzwischen auf 100 Seiten angewachsen - und einige unveröffentlichte Demos werden den Weg in Euer erlauchtes Neofolk-Herz finden. Seid bis dahin wachsam, kreativ und angstfrei. Meckert und winselt nicht, setzt Akzente: Ihr - nicht "die da oben" - seid Deutschland! Für Kultur und Kameradschaft: Immer bereit! (Facebookeintrag vom 8. Mai 2020)

Wieso muss ich unweigerlich an Hygiene-Demos 30000 bis 1,3 Millionen sehr aufgebrachte Bürger denken...? Die beiden Musiker kündigten bereits an: textlich und musikalisch haben wir neue Wege gewagt. Neben naturphilosophischen Sprachbildern, werden auch erstmals in unserem Schaffen direkte Bezüge zur Lage in Europa ersichtlich. Mit "Bald kommt der Krieg in dein Haus" und "Deutschland 2016" werden Tendenzen kultureller Destruktion gezeigt und angeprangert. Ebenso haben wir aus gegebenem Anlaß unser Lied "Abendland" neu arrangiert und aufgenommen. (Facebookeintrag vom 16. November 2019).

Es kommen die Zeiten des Betruges, die Schwachen werden regieren mit List, und der Tapfere wird in die Netze fallen, womit die Feigheit die Pfade verwebt (Götz von Berlichingen): So erklingt der alte Goethe beim 15. Titel. Man berichtet von tragischen Schicksalen historischer Personen, ungeachtet ihrer Herkunft und Ideologie (wie der Pressetext brav darauf hinweist, dass Orplid nicht nur in eine Richtung schauen), jedoch habe diese tragischen Schicksale meist gemein, dass da der Kleine vom großen Unheil bedroht ist: 'Jan Palach' verbrannte sich 1969 aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings und gegen das Diktat der Sowietunion (wikipedia), die 'Madonna von Stalingrad' wurde vom Lazarettarzt Kurt Reuber während der Einkesselung gezeichnet, der dazu schrieb: „Das Bild ist so: Kind und Mutterkopf zueinandergeneigt, von einem großen Tuch umschlossen, Geborgenheit und Umschließung von Mutter und Kind. Mir kamen die johanneischen Worte: Licht, Leben, Liebe. Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt, in der Dunkelheit, Tod und Hass umgehen - und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben, Liebe, die so unendlich groß ist in jedem von uns!“ Sie waren umzingelt von einer akuten Bedrohung von Außen. Tamara Bunke kämpfte im Untergrund an der Seite Che Guevara gegen eine Regierung, die sie für gefährlich hielt. Kombiniert man diese Geschichten mit "Bald kommt der Krieg in dein Haus", dann ist nicht mehr schwer, zu erahnen, wer da eine Bedrohung darstellen könnte, die nicht nur Swastiken heraufbeschwört sondern die jeden Deutschen etwas angehen sollte um den besorgten Bürger ja vom Nazi zu unterscheiden:

Bald kommt der Krieg in dein Haus / Wirst du ihn freundlich begrüßen, / Wirfst du ihn wieder hinaus, / Müde vom Bangen und Büsen?
Lädst du zu Tisch, gibst Asyl / Ihm, willst sein Sinnen befächeln, / Wenn er mit krudem Kalkül / Dir winkt mit kindlichem Lächeln?
Zeigst du ihm erst wer du bist, / Wenn deine Fenster zerklirren, / Wenn dich die Zwietracht zerfrißt, / Swastikas jäh dich umschwirren?
Längst klingt kein heiteres Lied / Durch deine Flure und Räume, / Was dir dein Gastrecht beschied, / Floh im Wind sterbender Träume…
Angst huscht mit Mäusen dahin, / Nistet im modrigen Keller, / Kunst ohne Glanz, ohne Sinn, / Macht deine Zimmer nicht heller.
Kalt ist es, einsam und kalt, / In deinen rissigen Wänden, / Wuchernden Wahnes Gestalt / Will deine Menschlichkeit pfänden.
Lade nicht Schwertklanges Brunft / Ein unter berstendem Dache / Endlich, im Licht der Vernunft, / (Deutschland, mein Deutschland)*, erwache.

*Wurde auf dem Album nicht verwendet.

Und vor vier Jahren gab es wohl so einiges in Deutschland, das Herrn Nolte nicht gefiel: Die Lyriks von "Deutschland 2016" veröffentlichte und verlas er bereits als Gedicht zum damaligen Zeitpunkt, nun aber sieht er die Botschaft noch immer als aktuell an und als Teil von Orplid:

Ich sehe viele Dinge und Furcht mein Haus umschleicht / Bin ich im Ring der Ringe, in bösem Traum vielleicht?

Ich sehe auf den Straßen nur Niedergang, Verfall, - es platzen Metastasen des Krieges überall.

Ich sehe Glück als Gabe entrückter Werte schon, - Als Mode, Marke, Habe, als Dreck auf Mammons Thron.

Ich sehe keine Wärme erblühen, Liebe schwand, - Sogar die Krähenschwärme verlassen schon das Land.

Ich sehe blindes Walten im Zank um Judaslohn, - Kein herrliches Gestalten zum Ruhme der Nation.

Ich sehe Ratten nagen, begierig, immer geil, - An Galgen, die schon ragen zum Himmel, stumm und steil.

Ich sehe Irre lungern bei Drogen-Aderlaß - In Winkeln, Herzen hungern in Kindern, einsam, blaß.

Ich sehe: Traditionen besudelt Marktes Brunst, - Im Pfuhl der Illusionen erstickte schöne Kunst.

Ich sehe keinen Richter im fernen Morgenrot, - Das Volk der Denker, Dichter - Mein Volk, mein Volk ist tot.

Ich sehe, hoffe, strebe, vom Nacht-Wind schon benetzt, - Ich träume nicht, ich lebe in Deutschland, hier und jetzt.

Leider ist ausgerechnet dieser Titel der musikalisch bewegendste auf dem Album, aber nach Abschluss der Kritik mag ich ihn nicht mehr hören. Kurz: Ich weiß nun nicht nur, dass ich die Haltung der Musiker nicht teile, die sie als Dichter und im Netz bereits deutlich gemacht haben aber bisher weitestgehend von der Musik trennten. Auf 'Deus Vult' werde ich mit Texten überflutet, die ich für unangenehm, unnötig und letztendlich tendenziell gefährlich halte. Orplid haben sich entschieden, dass man 2020 auch im Neo Folk nun deutlich Flagge bekennen darf und kann und zumindest in einem Punkt stimmen Uwe Nolte und ich wohl überein: Es ist eine politisch bedrohlich wirkende Zeit und Passivität führt zu nichts Gutem – nur dass wir beide das Gute wohl arg Gegensätzlich definieren würden. Damit ist das Album für mich unabhängig der musikalischen Qualitäten ausgeschlossen für meinen Privatgebrauch aber ein sehr gutes Fundament für Seminare zur politische Bildung. Ich muss nicht mehr überlegen, ob ich die Band unterstützen kann oder darf - ich will es nicht mehr tun. Ich will aber auch nicht all denjenigen, die in den Texten ihre Haltung wiederfinden verbieten, Orplid zu hören. Es ist in meinen Augen nur verdammt schade und beunruhigend, dass man solche Schlüsse aus dem globalen und innerdeutschen Geschehen zieht.

Und damit komme ich zum letzten Abschnitt dieser Besprechung eines Musikalbums – was bewirkt 'Deus Vult'? Zum einen bin ich gespannt, ob Orplid mit diesem Album dermaßen offen neurechtes Gedankengut salonfähig machen für andere Vertreter des Neo Folks, die bisher ihre schwarzen Sonnen hinter zusammengebundenen Ähren im weiten Feld versteckten, ganz ähnlich der AFD oder CSU, die ja innerhalb der Landesgrenzen auch immer weiter austesten, wie weit rechts man gehen darf, bevor man es auf einen MAusrutscher schieben muss. Auch stellte sich zumindest für mich die Frage, ob die Veröffentlichung meine Haltung gegenüber dem Label Prophecy Records verändern wird. Denn bisher erlebte ich eine von Labelchef Martin Koller als heterogen beschriebene Gemeinschaft im Team und Bandpool, die sich innerhalb ihrer Kunst größtenteils unpolitisch verhielt. Anders als er sehe ich aber 'Deus Vult' so, wie es auch die Band selbst benennt: als deutlich politischer als die bisherigen und damit eindeutig ein politisches Statement. Ein Label, dass diese Texte herausgibt, muss sich auch gefallen lassen, dass man nun mit diesen Aussagen im Katalog kritisert oder gar gemieden wird. Das ist etwas anderes, als die morbiden Phantasien Bethlehems, Dornenreichs magischer Minimalismus, Valborgs wüster Minimalismus und auch Sol Invictus' Rückwärtsgewandheit, die ich textlich zum Teil trotz eventuell unterschiedlicher politischer Perspektiven teilen kann. Nein, ich werde das Label nicht meiden, aber ich werde nun etwas argwöhnischer auf die Veröffentlichungen schauen und inständig hoffen, dass dieses das einzige Album bleibt, das mir Magenschmerzen bereitet. Und ich bin enttäuscht vom Label – mehr als über eine Phase eher mauer Veröffentlichungen oder einem Wandel zu Klängen, die vielleicht nicht meinen Geschmack treffen. Orplid haben ein musikalisch unbedeutendes Album geschaffen, das ich rein instrumental bald schon vergessen werde, aber ich sehe in ihm eine Zäsur an ganz anderen Stellen.

 

Orplid

Deus Vult
 

25.09.2020

auerbach tonträger / prophecy productions

 

https://de-de.facebook.com/orplid.official

 

01. Ouvertüre
02. Abend loht über dem Tale
03. ...
04. Jan Palach
05. Madonna von Stalingrad
06. Dunkle Stunde
07. Ich sah dich Flöte spielen
08. ...
09. Tamara Bunke
10. Ich bin!
11. Purpurne Stimmen
12. ...
13. Bald kommt der Krieg in dein Haus
14. Sommer ging verirrt, geheim
15. ...
16. Deutschland 2016
17. Das Abendland
18. Cortez