Die Messlatte wurde deutlich angehoben! Bisher konnte ich bei folgenden Eckdaten eines Musikprojektes recht zuverlässig auf den musikalischen Mehrwert schließen: Ein Soloprojekt aus dem Bereich Black Metal. Ein selbstproduziertes Debut. Ein nicht professionell handgezeichnetes Landschaftsmotiv (gerne auch mit einsamen Gebäude oder einer Burg) in schwarzweiß. Worte aus der Retorte im Albumname oder in den Titeln (Heaven, Hell, Vision, Life, Death, Salvation, Agony,....). Ein im Promoschreiben hoher inhaltlicher Anspruch mit Zitaten berühmter Philosophen (in diesem Fall Schoppenhauer). Diese Eckdaten finden sich bei gefühlt hunderten Projekten, die seit den frühen Neunzigern immer wieder aus dem Nichts auftauchen und zuverlässig für allerhöchstens solide Unterhaltung sorgen, meistens aber nur schwach eingeprügelten, langatmigen und unglaublich mies produzierten Soundmatsch präsentieren. Auch Orizen bedient diese (meiner Ansicht nach nicht notwendigen) Klischees, das Promoschreiben verschreckt zusätzlich mit dem Versprechen, dass das Zweitwerk besser ist als das (mir unbekannte) Debut und Potenzial habe. Aber wenn man all diese Punkte übersieht ist "Of life, death and salvation"vor allem eines: ein geiles Stück Musik! Richard Leishman, der auf der Bandpage in epischen Ausmaß über die Entwicklung seiner musikalischen Findung und die Entstehung dieses Werkes schreibt, ist ein Tausendsassa, denn nach eigenen Angaben hat sich der heute 31jährige in den letzten 15 Jahres alle Kenntnisse selbst angeeignet, die für die Produktion dieses Albums notwendig waren. Alle Melodien stammen aus seiner Feder, alle Instrumente wurden von ihm eingespielt oder programmiert. Der Kreischer, Growls, der Gesang, die Abmischung, Booklet-Bilder, Lyrics, begleitende Texte zu den einzelnen Songs und Werbung – Richard Leishman spricht von sich selbst als komplizierten Perfektionisten, der das Ruder nur schwer abgeben kann. Braucht er auch nicht, denn eine solche Granate habe ich schon lange nicht gehört. Orizen präsentiert auf dem über acht Jahre entwickelten Album acht Songs in Überlänge (der kürzeste Track knackt die 6 Minuten Marke) und schafft zwei vollkommene Überraschungen: Der musikalische Mehrwert ist zum einen unglaublich hoch. Depressiv-melancholischer Black Metal mit Einflüssen aus Folk, Klassik und Heavy Metal, die Lieder abwechslungsreich und spannend aufgebaut, die Einfälle mannigfaltig. Ganz anders als in diesem Musikbereich gewohnt entwickelt Orizen auch im Liedverlauf immer neue Melodien und Ideen, gnadenlos klassische Gitarrensoli werden perfekt eingebaut und Langeweile kommt zu keinem Zeitpunkt auf. Leishman weißt auch auf seinen Versuch hin, Harmonien aus der Klassik in seine Kompositionen einzuflechten, Raserei und ruhige Momente kämpfen nicht gegeneinander sondern wurden stimmig verflochten. Zusammengefasst wirkt "Of life, death and salvation" zu jeder Sekunde perfekt geplant und ausgearbeitet. Auch bei der Aufnahme wurde nichts dem Zufall überlassen und damit schafft Orizen die zweite große Überraschung: Wenn ich eine labellose Band höre, dann erwarte ich nicht einen solchen Perfektionismus an allen Instrumenten, dem Mikrofon und den Reglern. Das blanke Wahnsinn, was Leishman da in Personalunion abliefert und auch wenn die Produktion noch ein wenig satter und der Gesang noch peitschender hervorgehoben hätte werden können – das ist kaum ein Produkt, dass den Begriff Amateur verdient. Zu jedem Zeitpunkt sind alle Spuren gut zu verstehen, nichts ist in den Vordergrund gerückt. Richard Leishman kann mich nicht mit den Zeichnungen, den Texten und seinen Beschreibungen auf der Bandpage überzeugen. Die Zeichnungen sind mühevoll aber wenig anspruchsvoll, die Motive sehr klischeehaft. Auch die Liedtexte, die sich um Nachdenklichkeit bemühen, bedienen sich vieler Versatzstücke, die man einfach schon zu oft gelesen hat. Und die auf der Bandpage abgedruckten Texte zur Band, dem Arbeitsprozess und den einzelnen Liedern lenken nicht nur vom eigentlichen Wert der Band (Die Musik) ab, sie nehmen sich durch Einsatz von Smileys und noch etwas holpriger Schreibweise die Ernsthaftigkeit, die Leishman eigentlich anzustreben scheint. Das alles ist aber in meinen Augen "nur" Beiwerk, den ich übergehe und an dessen Qualität Leishman ja noch arbeiten kann (bzw. könnte dies ein Bereich sein, den er doch einmal teilweise abgeben könnte). Es bleibt eines der musikalisch eindrucksvollsten Werke einer labellosen Band, die ich bisher hören durfte und ich kann mir eine qualitative Steigerung nur schwer vorstellen, wäre aber sehr gespannt, wie Richard Leishman fortfahren will. Deswegen gebe ich gerne 5,5 Punkte und rate jedem, der auch nur im entferntesten Interesse an melancholischer schwarzmetallischer Tonkunst hat, sich dieses Teil ungehört ins Haus zu holen! Meine Güte, ist das ein Knaller!