Es klingt wie Ironie des Schicksals: Das Album, das am wenigsten als reguläres Album geplant war und das die Bad Seeds mal eben in wenigen Sessions aus der hohlen Hand schüttelten, wurde ihr größter Erfolg. Noch ironischer klingt die Tatsache, dass dieses Album ganz nach seinem Titel "Murder Ballads" traditionelle und erfundene Moritaten schildert. Nun wäre das an sich vielleicht nicht so wild, aber wir alle kennen Nick Cave und seine Wortspiele. So ist es wenig verwunderlich, dass wir es nicht nur mit zahlreichen Toten, sondern zusätzlich mit Gräueltaten, viel Blut, derbem Wortwitz und deftigen Schimpfwörtern zu tun bekommen. Trotzdem ist es genau dieses Album, das die meisten von Nick Cave und den Bad Seeds im Plattenschrank stehen haben. Nicht weniger als 64 Tote sind auf diesem Album zu beklagen. Ein Großteil davon wird in einem der Songs zur Strecke gebracht, der als erstes fertig war und damit die Grundlage für das Album lieferte: "O'Malley's Bar". Dieses über 14 Minuten lange Monstrum, das nur spärlich mit etwas Klavier, Orgel und dezentem Schlagzeug instrumentiert ist, lebt hauptsächlich von der Geschichte und damit Caves Text und Gesang. Ein Mann, der aus Rachlust und Frust eine komplette Bar niedermetzelt, das dauert natürlich eine Weile. Diese wie immer von Nick Cave extrem bildhaft erzählte Geschichte ist erfüllt von bitterbösen Wortwechseln und Szenen, so dass die lange Spielzeit nicht ins Gewicht fällt. Natürlich waren vor allem das Duett und das dazugehörige Video mit Kylie Minogue in "Where The Wild Roses Grow" für den Erfolg des Albums verantwortlich. Erstmals wurden Nick Cave und The Bad Seeds einem breiteren Mainstream-Publikum bekannt. Natürlich musste sich Nick Cave Vorwürfe gefallen lassen, warum gerade er mit einem Popsternchen zusammen arbeitet. Dabei hatten es die Bad Seeds schon einmal Ende der 80er probiert, wurden aber von Kylies Management vertröstet. Für "Murder Ballads" ging man deswegen über Kylie Minogues ehemaligen Freund Micheal Hutchence (Sänger der Band INXS, † 1997) und siehe da, es klappte. Für Frau Minogue bedeutete diese Zusammenarbeit ebenfalls einen Karriereschub, weil dadurch ihr Image als Poptrulla erheblich aufgewertet wurde. Die Anekdoten zu dieser Zusammenarbeit sollte man sich unbedingt im 9. Teil der auf der beiliegenden DVD enthaltenen Videodokumentation "Do You Love Me Like I Love You" anhören. Eine weitere Zusammenarbeit hatte für Nick Cave sogar persönliche Konsequenzen. Zusammen mit PJ Harvey singt er "Henry Lee", in dem eine Frau einen Mann betört und dann kaltblütig ermordet. Die Art und Weise, wie sich die beiden im dazugehörigen One-Take-Video anschmachten zeigt deutlich, dass sich zwischen den beiden etwas anbahnte bzw. schon angebahnt hatte. Ihre spätere Trennung führte zu einigen Songs auf dem kurze Zeit später folgenden Album "The Boatman's Call". Der Song "Stagger Lee", eine von vielen Versionen der Geschichte um den Mörder Lee Shelton, wurde nicht nur dank der zahlreichen Verwendung des Wortes "Motherfucker" bekannt, sondern auch durch Blixa Bargelds Schrei, der einem durch Mark und Bein geht. Kurios klingt "The Curse Of Millhaven", in dem sich ein 15-jähriges Mädchen durch eine Stadt mordet. Der Song ist eine Folk-Interpretation und wäre nicht der mörderische Text, könnte diese beschwingte Version auch als Trinklied durchgehen. "Murder Ballads" zeigt einen Nick Cave, der seine Qualitäten als Geschichtenerzähler mehr als unter Beweis stellt und eine Band, die vor Spiellust geradezu sprudelt. Unglaublich, dass dieses Album in so kurzer Zeit und ein Großteil davon erst im Studio entstand. Das Bob-Dylan-Cover "Death Is Not The End" treibt es am Ende auf die Spitze. Shane McGowan, Anita Lane, PJ Harvey, Drummer Thomas Wydler, Kylie Minogue, Blixa Bargeld und natürlich Nick Cave trällern uns Mut zu und steigern sich dabei von Strophe zu Strophe zu einem Chor. Übrigens der einzige Song auf dem Album, in dem niemand ums Leben kommt. Der Erfolg des Albums ist also durchaus begründet, bleibt aber auch retrospektiv nicht ganz greifbar. Ein Wahnsinnsalbum, das einen Wendepunkt in der Geschichte der Bad Seeds darstellte. Aber dazu mehr in der nächsten Review.