Mit der Veröffentlichung von "Nocturama" haben sich die Bad Seeds und Nick Cave eine große Last vom Herzen gespielt, was sich in neuer Spielfreude und neu entdeckter Kreativität äußerte. Wer das 15-minütige "Babe, I'm On Fire" gehört und vielleicht sogar das ausgeflippte Video dazu gesehen hat, weiß, wovon die Rede ist. Dass sich dieser kreative Schub nun in einem Doppelalbum niederschlägt, hätte wohl niemand gedacht, auch wenn man es von Nick Cave & The Bad Seeds gewohnt ist, jedes Jahr ein neues Album in den Händen zu halten. Nach "Nocturama", das damals innerhalb einer Woche aufgenommen wurde, haben sich einige Mitglieder der Band nach Paris in die Misere-Studios zurückgezogen. Dort entstand binnen vier Tagen(!) das Material zum neuen Album "Abattoir Blues / The Lyre Of Orpheus". Anschließend zog man in die Ferber Studios, um die Songs auf dem dortigen betagten Analog-Equipment aufzunehmen. Die Atmosphäre dieser Studios hat sich anscheinend sehr positiv auf die Band ausgewirkt. Zu den Aufnahmen wurde ein Gospel-Chor (London Community Gospel Choir) hinzugezogen, was die Studioarbeiten für die Band zu einem ungewohnten Experiment machte, da die Songs auf den Gesang des Chors abgestimmt werden mussten. Ein weiteres Unikum war die Liveaufnahme von Nick Caves' Gesang, während er am Klavier spielte. Und noch eine Besonderheit veränderte die Arbeiten am Album: Blixa Bargeld war nicht mehr dabei. Obwohl Nick Cave ihn schweren Herzens gehen lassen musste, scheint sein Abschied der Band nicht geschadet zu haben. Nein, man hat fast den Eindruck, dass die Bad Seeds wesentlich freier als zuvor spielen. Ob das nun an Blixas Ausscheiden oder an der neu gewonnnen Spiellust liegt, weiß letztendlich nur die Band selbst. Einen kleinen aber wirkungsvollen Geniestreich hat Nick Cave mit der Auswahl zweier Drummer für je eine der Platten ausgeheckt. Wie schon Sting sagte: "Eine Band steigt und fällt mit ihrem Drummer". Jim Sclavunos spielt auf "Abattoir Blues" kraftvoll und wuchtig, während Thomas Wydler für "The Lyre Of Orpheus" eher feinfühlig die Sticks schwang. Der Unterschied ist deutlich zu hören. "Abattoir Blues" beginnt mit "Get Ready For Love" schwungvoll und rockig. Nicht nur durch den Chor im Hintergrund wirkt der Song wie die Rockvariante eines Gospelsongs. Schön trocken und exzentrisch mit einer Orgel im Refrain klingt "Hiding All Away", das selbst Tom Waits vor Neid erblassen lassen würde. Gefühlvoll und traurig mit klagender Stimme und Klavier besingt Nick Cave in "Messiah Ward" sein eigenes Ende der Welt. Und da ist natürlich noch das beschwingte "Nature Boy", in dem es um die Schönheit der Welt und die Liebe geht. Der Song ist auch die erste Singleauskopplung des Albums. Die zweite Platte, "The Lyre Of Orpheus", steht der ersten in nichts nach, klingt aber etwas leichter. Da wäre zum Beispiel das luftige "Breathless", mit verrückten Flötenklängen und Akustikgitarre oder das traurige "Easy Monay". Absolut zauberhaft klingt das mysteriöse "Carry Me", mit Piano und Streichern. Wunderbar! Nick Cave und seine Bad Seeds bezeichnen "Abattoir Blues / The Lyre Of Orpheus" als das beste Album, das sie je gemacht haben. Und das zu recht. So mitreißend und gleichzeitig gefühl- sowie kraftvoll so waren sie noch nie. Man kann gar nicht genug Lob loswerden über dieses absolut sagenhafte Doppelalbum. Eine der besten wenn nicht die beste Veröffentlichung dieses Jahres!