Tatort: Eine Vorstadt von Zürich – jene Stadt, welcher das immergrüne, sonnenbeschienene Klischee vom Berg-, Wald- und Wiesen-Idyll nicht ferner liegen könnte. Hohe Selbstmordrate, gefährliche Ghetto-Bildungen in den suburbanen Zonen, Drogenkriminalität in alarmierenden Dimensionen – von der stets fröhlichen Heidi und wohltuendem Alm- und Alprausch ist hier nicht viel zu spüren. In der aktuellen Veröffentlichung des Schweizer Künstlerkollektivs Negative Trip gleicht dieser Ballungsraum am Zürichsee vielmehr einer „Endstation Sehnsucht“, überlagert von Frustration und Resignation. Viel ist über die Macher und Hintergründe des Projektes nicht zu erfahren. „Parasite Psychotic“ lässt jedoch erahnen, in welchen Dimensionen sich die Gedanken- und Gefühlswelt der Musiker bewegt. So erstaunt die auf ihrer Homepage nachzulesende selbsternannte Aufgabe nach dem ersten Durchhören des Albums keineswegs: „Die Stimmen und Schreie der Seele zu durchleben und zu erforschen, um den existenziellen Horror der kapitalistischen Realität aufzufangen und all jenen Gehör zu verschaffen, welche von der Gesellschaft unter dem Vorwand der Minderwertigkeit stigmatisiert werden.“ Die Welt in den Augen der Macher: Menschliche Verfehlung offenbart sich in stumpfsinnigem Konsumrausch, in betäubendem Medienkonsum, Drogen- und Alkoholsucht, welche allesamt die verzehrende Monotonie, das existenzielle Vakuum und die schiere Hoffnungs- und Sinnlosigkeit, kurz gesagt die Tragik des täglich neu gelebten, leeren Daseins zu verwischen suchen. Entsprechend verstörend und abgründig, grau und zwiespältig präsentiert sich das auf „Parasite Psychotic“ zusammengetragene Material: Schwermütige, getragene Ambient-Soundscapes, teilweise mit Echos unterlegte Voice-Samples und spannende Ausflüge in Trip Hop-Gefilde verschmelzen zu atmosphärische Klangcollagen, die vom Hörer ein hohes Maß an Konzentration und Aufgeschlossenheit verlangen. Sämtliche Tracks, die u.a. so pointierte Titel wie „Vorstadt Tod“, „Broken Brain“, „Urban depression“ oder „Neon Lights“ tragen, könnten allesamt der Soundtrack für ein düsteres, filmisches Epos sein, in dessen Finale sich die tragische Spezies Mensch resigniert dem Schicksal hingibt und in eine tiefe Lethargie verfällt. Der Selbstzerstörungsprozess nimmt seinen Lauf. Kleine, vertonte Hoffnungsschimmer wie „Blau“ oder dem entspannenden, fast schon erotisierenden „Haldol“ dauern nur einen kurzen Moment, um von der Dunkelheit im nächsten Moment wieder absorbiert zu werden. Wie erschreckend realistisch diese vertonten Szenarien sind, zeigen die jüngsten, grausamen Ereignisse in Paris bzw. mittlerweile in ganz Frankreich in aller Deutlichkeit. Die hochmoderne Zivilisation wird zu ihrem eigenen Henker. Sämtliche Tracks entwerfen und spiegeln einzelne Episoden oder Szenarien wieder, die in ihrer Gänze ein beängstigendes, entmutigendes Bild der postmodernen Gesellschaft liefern. „Parasite Psychotic“ pendelt zwischen entspannter Ruhe und nervöser Unruhe, zwischen Aufbegehren und Resignation. Negative Trip ist die Umsetzung ihrer „Aufgabe“ treffend gelungen. Das „Geheimnis“ um die Identität der Macher erhöht den Reiz der Veröffentlichung zusätzlich. Sonnenschein-Gemüter sollten besser einen Umweg um diese Scheibe machen und lieber Alphorn-Musik hören. Wer aber noch tiefer in den psychischen und urbanen Abyss von Negative Trip eintauchen möchte, kann sich mit dem bereits im Jahr 2000 veröffentlichten Debüt EU vertraut machen. Also: Augen und Ohren auf! Der Untergang der modernen Welt hat bereits begonnen – nicht nur am Zürichsee!