Man darf doch davon ausgehen, daß Andrea Haugen in der dunkleren Szene keiner Vorstellung mehr bedarf: Neben ihren vielseitigen künstlerischen Aktivitäten als Malerin und Buchautorin hat die Wahl-Londonerin über acht Jahre und vier Alben hinweg mit AGHAST und HALAGAZ' RUNEDANCE ihre Gedankenwelt auch musikalisch ausgelebt, sich dabei eine treue Fanschar und den Ruf erspielt, zur akustischen Speerspitze des Neofolk zu gehören. Irgendwann war wohl dann der Punkt erreicht, an dem Veränderung unumgänglich war - folglich das (vorläufige?) Ende von HALAGAZ' RUNEDANCE, die Veröffentlichung des ersten NEBELHEXE-Albums "Laguz - Within The Lake", und ein stilistischer Bruch, wie er für viele kaum heftiger hätte sein können: Nach der ruhigen, atmosphärischen, fast rituell anmutenden Musik des Vorgänger-Projektes entdeckt Frau Haugen ihre Faszination für die Helden ihrer Jugend, vermischt moderne Elektronik, Industrial, Gothic, Dark Wave, Synth Pop und Metal zu akustischen Welten nicht minder eigenständig, aber irgendwie auch ... nun, völlig anders als alles Vorangegangene. Dies ist mittlerweile auch schon wieder zwei Jahre her, in denen besagtes Album doch die eine oder andere Runde in meinem Player gedreht hat. Jetzt, kurz vor dem Herbst, schickt sich die Musikerin an, die Geschichte der Nebelhexe fortzuschreiben. Das neue Kapitel trägt den Titel "Essensual" und setzt, wie schon fast zu erwarten war, exakt dort an, wo der Vorgänger dereinst endete. Wieder bewegt sich Andrea Haugen quer zwischen den Stilrichtungen, bedient sich munter in nahezu allen denkbaren Ausprägungen dunkler Klänge, schafft Stimmung und Atmosphäre mit allen künstlerischen Mitteln, die irgendwie verfügbar sind. So klingen in Songs wie "Underworld" oder "Dreams Of Little Girls" Erinnerungen an ihre eigene musikalische Vergangenheit durch, vorsichtig angereichert mit jeder Menge Elektronik und trotzdem so geschickt arrangiert und aufgenommen, daß die Musik sensibel, zerbrechlich, feengleich zu wirken vermag. Seinen Höhepunkt findet diese Stimmung in "Erzulie's Charm", irgendwo zwischen Fantasie, Traum und Realität, mystisch und entrückt. Dem gegenüber steht die "rockige" Seite von NEBELHEXE, stehen Songs wie "Their Dead Poetry", "The Wish" oder "Purple Nightshades" - rockig, teils entspannt, teils nachdenklich, immer originell und fast uneingeschränkt gelungen. Zusammengehalten wird das Album dabei sowohl durch den markanten Gesang als auch durch die professionelle, sehr gut zwischen hart und emotional balancierende Produktion, die fast jedem der Tracks seine ureigene Stimmung erlaubt, die CD als Gesamtwerk aber trotzdem schlüssig, konsistent, homogen wirken läßt... ... und irgendwann merkt man, daß unter den Kopfhörern die knappe Dreiviertelstunde, die "Essensual" umfaßt, viel zu schnell verstrichen, die Songs viel zu schnell wieder verklungen sind. Der verklärte Blick danach läßt eigentlich nur ein Fazit zu: Der NEBELHEXE-Zweitling vermag mit Leichtigkeit zu überzeugen, den Hörer mit seiner ganz eigenen Stimmung in seinen Bann zu ziehen, einen flüchtigen Blick zu vermitteln auf die Gedanken- und Gefühlswelt der Musikerin, die hinter den Klängen und Texten steht. Fans interessanter, dunkler Musik zwischen Genres und Schubladen können mit "Essensual" insgesamt wenig falsch machen - einzig jenen, die nach HALAGAZ' schon "Laguz" nicht wirklich gefallen hat, werden auch an diesem Album keine richtige Freude finden. Mögen es wenige sein...