Die Fraktion der Polunderträger und Hornbrillenliebhaber, denen Tocotronic aber schon immer zu harter Scheiß waren, sollten an dieser stelle ihr fesches Brillengestell zurecht rücken und die Hipsteröhrchen spitzen. Denn bevor Mikroboy unter Umständen zu populär und damit wieder uninteressant werden, sei geraten, sich das Zweitwerk der Berliner einmal zu Gemüte zu führen. Auf 'Eine Frage der Zeit' gibt es Pop-Rock der eingängigen, melodischen Sorte, gespickt mit ein paar subtilen Synthies und garniert mit deutschen Texten. Musikalisch schlichte, aber zweckdienliche Bass- und Gitarrenläufe, dazu ein wenig elektronisches Rumgespiele an den Ein- und Ausgängen der Songs und fertig sind Mikro Boy mit dem Musizieren. Soweit würde das Trio auch eher in der Ablage 'T' wie totlangweilig, wären da nicht die wirklich großartigen Texte. Nachdenklich, ein wenig kitschig, manchmal sogar ein bisschen melancholisch, aber grundsätzlich sehr wortgewandt haben sich die drei Herren in den vergangenen zwei Jahren offensichtlich eingehend mit Irrungen, Wirrungen und Tücken des Alltags beschäftigt. Neben dem üblichen Trennungsschmerzgedöns kommen eher unübliche Themen wie soziale Verwahrlosung und Isolation. Eben diese lyrischen Ergüsse schaffen es dann, vorgetragen mit angenehmer Stimme, der an sich recht gesichtslosen Musik doch noch so etwas wie eine Seele einzuhauchen. Mikroboy legen hier mit Sicherheit keinen Meilenstein der Musikgeschichte vor, dafür ist 'Eine Frage der Zeit' musikalisch einfach zu generisch. In textlicher Hinsicht ist die Scheibe aber definitiv deutlich jenseits des Durchschnitts, was sie im Endeffekt gerade für Freunde deutschsprachiger Musik interessant macht. Diese sollten hier dringend ein paar Minuten Zeit investieren.