„Love? is Wonderboy, Miss Violett, TI & Electronical Friends“ – wer nach dieser Bandvorstellung im Booklet der CD „Electronically Yours“ das der Liebe folgende Fragezeichen zur Visualisierung seiner temporären Verwirrung auf den Malbogen des Psychologen kritzelt, dürfte mit dem Verweis „produced by Olaf Wollschläger“ schnell wieder in realitätsnahe Sphären zurück driften. „Love?“ sind indepedent, „Love?“ sind spannend, „Love?“ sind geheimnisvoll und „Love?“ komponieren komplexe Melodien. Die Kombination dieser Attribute plus Bearbeitung vom Meisterproduzenten eingängiger elektronischer Popmusik, was soll da noch schiefgehen? In einer auf 300 Einheiten limitierten CD-Auflage kehren Love? nach langer kreativer Schaffenspause zurück auf die großen Bühnen der Welt, auch wenn die Beschreibung „groß“ im Kontext der wackeren Synthpopszene auf Locations wie den Berliner „Red Club“ zutrifft, der nicht wirklich ein Publikumsmagnet ist. Aber über die Perspektiven unserer Lieblingsmusik haben wir bereits an anderer Stelle ausreichend philosophiert, so dass es nunmehr erneut an der Zeit ist, eine weitere sträflich unterschätzte CD genauer unter die Ohrmuschellupe zu nehmen. Das Album beginnt mit dem eingängigen Opener „This City“, zu dem es auch ein recht professionelles Video bis auf Youtube geschafft hat. Der 2:30 Minuten kurze Track hat das Potenzial für einen kleinen Clubhit, müsste dafür allerdings (leider) um so manche Soundspielerei im Hintergrund reduziert und als Extended Version neu gemixt werden. Das folgende „I Walk Alone“ ist der klassische Hit: durchgängiger Rhythmus, schöne Flächen im Chorus, ein einprägsamer Refrain sowie ein szenekompatibler Text. Sehr schön. Die Komplexität nimmt „I Want You“ auf Position 3 anschließend deutlich zu. Hier treffen Break-Beat Einflüsse auf Minimal-Electro, Retrosynths und – immer dabei – eine Hookline, welche die vermeintlich inkompatiblen Einzelzutaten zu einem stimmigen Ganzen vereint. „I Need My Baby“ geht musikalisch in die gleiche Richtung, bevor mit „Like Back In The 80s“ eine fröhliche Melange aus Bit-Pop und klassischen Radiosounds präsentiert wird. Vocoder- und Computernerds werden mit „Mein Taschenrechner und ich“, bzw. „Sex me, I’m A Robot“ ihre Freude haben. Auch hier könnte man natürlich Parallelen zu Kraftwerk oder Welle:Erdball ziehen, doch damit würde nur eine weitere Schublade geöffnet, in die „Love?“ vor allem aufgrund ihrer Vielseitigkeit nicht hinein gehören. Dies bestätigt der lässige Dance-Opus „The Sign“, ein 7:41 Minute langes Highlight des Albums, das sich langsam aufbaut, etliche Spannungsbögen zelebriert und dank des unprätentiös hohen Chillfaktors ein idealer Begleiter für lange Autofahrten in lauwarmen Sommernächten ist. Im letzten Viertel des Albums wird vorsichtig dem Electro-Rock gefrönt, bevor wir mit der entspannten Ballade „Moonchild“ sanft in den Schlaf entlassen werden, was in diesem Zusammenhang absolut nicht negativ zu verstehen ist. Ja, „Electronically Yours“ ist kein Album für die Tanzfläche, keines für das Nebenbeihören beim Pürieren diverser Knollengemüsevarianten und auch keine CD für einen Tag. Doch wenn man sich nicht nur hektisch durch die Lieder zappt, sondern bewusst, auf dem Sofa und mit Kopfhörern bewaffnet, auf eine elektronische Entdeckungsreise gehen möchte, sind „Love?“ die idealen Begleiter. Der Mut, in der heutigen Zeit ein komplexes Album zu veröffentlichen, das nicht nur auf den schnellen Hör-Quickie schielt, müsste eigentlich belohnt werden.