Die Angaben schwanken. Von 40 bis 50 Millionen verkauften CDs ist die Rede – in jedem Fall eine Ansage. Gerade wenn man erst drei Alben in zehn Jahren veröffentlicht hat. Ohne es nachprüfen zu können, würde ich unterstellen dass alle kleinen Labels dieser Welt, die "dunkle" Musik veröffentlichen (wie OOL, Metropolis, Dependent etc.) in Summe niemals auch nur ansatzweise in diese Regionen kommen werden. Daraus lässt sich natürlich eine ungeheure Erwartungshaltung von Plattenfirma, Fans und Presse ableiten. Diesem Druck zum Trotz machen Linkin Park 2010 konsequent das, wovon viele Bands in Interviews nur sprechen - sie gehen neue Wege. Die ersten Minuten des Albums mit Computerstimme und Sprachsamples könnte auch ein typisches Electro-Album einleiten, bevor sich mit „Burning In The Sky“ der erste Song erhebt. Sehr ruhig, sehr getragen und damit in der Tradition von „Shadow Of The Day“ vom Vorgänger. In der Folge löst sich „A Thousand Suns“ aber immer konsequenter von den bisherigen Veröffentlichungen. Natürlich lebt Linkin Park immer noch von dem Wechsel der gerappten Shinoda-Vocals mit dem kraftvollen Organ von Chester Bennington. Aber der Anteil an Electronica-Sounds ist stark gestiegen und hat den Rockappeal doch teilweise sehr in den Hintergrund gedrängt, wie etwa in „When They Come For Me“ zu hören. Nu-Metal-Anhänger müssen gar bis „Blackout“ warten, ob Sie am Ende wirklich auf ihre Kosten kommen, wage ich zu bezweifeln. Der Sechser aus Kalifornien experimentiert fröhlich vor sich hin, was nicht immer funktioniert. Die Lagerfeuerromantik in „The Messenger“ ist grenzwertig, grundsätzlich bringt mich die Mischung auf „A Thousand Suns“ aber dazu, dieses Album immer wieder zu hören. Und dabei Spuren oder Zitate zu suchen. Da begeistert mich plötzlich die Dosis Scratchen und der Sprechgesang in „Wretches And Kings“ in Verbindung mit einem kraftvollen Refrain von Bennington. Vielleicht weil es mich an Consolidated erinnert? Auf den ersten Blick könnte man hinter den sechs sehr kurzen Tracks Füllmaterial vermuten, im Hinblick auf den Gesamtkontext des Albums würde man ihnen damit aber Unrecht tun. Gerade der Opener oder auch „Jornada Del Muerto“ sind sehr wichtig für Stimmung und Spannungserhalt. In den Staaten wollen Linkin Park den Käufern der Download-Variante als Bonus das Album als einzelnen Track mitgeben. Was aus meiner Sicht Sinn macht, denn „A Thousand Suns“ entfaltet seine Stärken nur am Stück gehört. Dafür fehlen aber Songs die für sich alleine an die Klassiker wie „Numb“ oder das immer noch unfassbar großartige „Breaking The Habit“ heranreichen können. Was nicht heißt, dass „Waiting For The End“ oder „Iridescent“ keinen Ohrwurmcharakter haben. "A Thousand Suns" ist mutig. Mir fallen eine Reihe von Bands ein, die in Ihrer Geschichte mit unterschiedlichem Erfolg einen ähnlichen Schritt gewagt haben. Paradise Lost mit "One Second", Nitzer Ebb mit "Big Hit" oder auch Depeche Mode mit "Songs Of Faith & Devotion". Heute ein absoluter Klassiker, damals aber nicht unumstritten mit seinem Rock- und Gospeleinflüssen. für den Vorverkauf der anstehenden Tour ist dieses Linkin Park Album vielleicht nicht die beste Werbung und für viele Fans möglicherweise eine Enttäuschung. Für aufgeschlossen Hörer aber eine interessante Reibe durch Höhen und Tiefen. Eine Reise die mich nicht mehr loslässt.