Nach dem Krieg, nach der Bombe, kurz, nachdem der Mensch das große, blaue Rund entgültig über den Jordan geschickt hat - ja, eine solche Zeit weckt in vielen Menschen eine Faszination und Sehnsüchte. Denn die Endzeit bedeutet gleichzeitig Ende und Neuanfang, eine Reduktion der Probleme auf das fürs Überleben wesentliche: Nahrung und Verteidigungsmaterial. Und so bastelten viele bereits an ihren Visionen und Bücher wie 'Nach der Bombe' und Filme wie 'Mad Max 2' arbeiteten die Regeln, den Look und die Klischees einer solchen Zeit aus. Kyoll bereiten vor allem Letztere bemüht humorvoll auf und orientieren sich den verwendeten Namen (Badasses...) und dem Stil während der gesprochenen parts nach deutlich am Anarcho-Shooter Borderlands. So führen sie durch ihr drittes Album in Form einer Radiosendung aus dem Outland Nordrhein-Westfalen und bereits im Titel findet sich (ob gelungen oder nicht) das erste augenzwinkernde Klischee: 'Radio:aktiv' heißt die Sendung des Trios (laut Facebook und Bandfoto) oder Duos (laut Booklet). Die Welt ist in Anarchie verfallen, die Umwelt verstrahlt, die Menschen kämpfen ums Überleben und Öl und versuchen dabei doch noch, einen Funken Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Kyoll spielen ihre Rollen in dieser Welt, berichten vom Leben, suchen nach Rohstoffen, erleben Gewalt und feiern eine Bunkerparty. Der Radiomoderator berichtet zwischen den Liedern über die neuesten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, ist inhaltlich betont überdreht, kann diese Überdrehtheit stimmlich nicht wie gewünscht transportieren und stört mich zunehmend, denn in meinen Ohren funktioniert die 'Sendung' nicht so gut wie etwa 'Songs for the deaf' von den Queens of the stone age. Sie wirkt eher bemüht und platt: Lichtschutzfaktor, Mutanten, die Raiders sind unterwegs, Benzin schmeckte früher besser und ein Leben (auf das von Oma) spielt keine große Rolle - Überraschungen und Schmunzler stellen sich bei mir zu keinem Zeitpunkt ein. Musikalisch präsentiert der Berliner Steam Punk Tross eine Melange aus mittelalterlichen Instrumenten (Drehleier, Schalmei und Zupfgeige), diversen Streichwerkzeugen jüngerer Vergangenheit (wenn ich dem Video zur "Bunkerparty" Glauben schenken darf) und Elektronik, die zwischen Wave und brachialem Gewummer schwankt. Spitzfindig will ich anmerken, dass zwei Komponenten ein wenig im Szenario der Endzeit überraschen (Warum sollte ich nach dem Ende der Welt altertümliche Instrumente wieder ausgraben oder bauen und woher kommt der Strom und das Equipment für solche Beats?) sondern eben eher in ein modifiziertes Steam Punk Szenario gehören, doch das musikalische Ergebnis ist durchaus gelungen. Während Heimataerde (die ja auch Mittelalter und elektronische Moderne vermischen) mit Hauptaugenmerk auf Tanzbarkeit ihr historisches Instrumentarium mit Bässen glattbügeln experimentieren Kyoll noch viel mit sperrigeren Rhytmen und Klängen, einer staubtrockenen und rohen Produktion und präsentieren die charmante Unbefangenheit von Newcomern. Bei Instrumentalintro "Tonspur 7" und der chansonartig gesungenen "Bunkerparty" greifen alle Elemente wie erhofft ineinander. Genau das hatte ich mir vom gesamten Album erhofft, als ich mir das Video zur Bunkerparty ansah - doch das restliche Material will bei mir einfach nicht wirklich zünden. Das liegt auch deutlich an den Vocals, die gefühlt bei jedem Song von jemand anderem oder in einem anderen Stil präsentiert werden - männlicher und weiblicher Klargesang, Geisterfauchen wie beim Hellectro, Marlene Dietrich Gedenkgesang. Meist solide vorgetragen wirkt dieses Wechseln im Gesang und auch Musikstil eher zerfahren und störend (wenn es wohl auch dem Gedanken der Radiosendung geschuldet ist). Auch die Texte packen mich nie richtig, sondern lassen mich kalt oder stören sogar ("Kopfschuss"). Wenn dann auch noch eine furchtbar stereotype Elektropopmelodie einen wenig emotional gesungenen Refrain beherrscht ("Revolution") kann ich nur enttäuscht die Skip-Taste bedienen. Es hätte eine Liebe werden können und die beiden genannten Anspieltipps und der gekonnte und homogen wirkende Mix der natürlichen und altmodischen Klänge mit elektronischer Gewalt deuten das Potenzial an, dass Kyoll haben. Doch muss in meinen Ohren noch viel Arbeit geleistet werden: wenn man ein Konzept präsentiert, dann muss es konsequent umgesetzt sein. Die Texte müssen zueinander gehören, der Radiomoderation sollte ... am besten gelassen werden (gute und pointierte Comedy ist schwere Arbeit und oft nicht von Erfolg gekrönt) und das Booklet passt gestalterisch nicht im Mindesten zum Humor und ist auch eher ... gelb. Und warum sind nur Textfragmente abgedruckt (dafür aber bei jedem Song die platzverschwendende Information, dass eines der Bandmitglieder das Lied geschrieben hat). Musikalisch kann zuviel Abwechslung schnell zerfahren und unkoordiniert wirken und es birgt die Gefahr, dass kein Stil wirklich erfolgreich umgesetzt wird (auch wenn die Ansätze auch bei Tracks wie "Legion" oder Akkordarbeit" nicht schlecht sind). Und schließlich braucht Kyoll noch mehr Feingefühl bei der Arbeit an fetzigen Hits, Refrains, eben einigen Krachern - ein toller Song, ein gelungenes Intro und ansonsten nur solides Futter.... das ist schon verdammt wenig. 'Radio:aktiv' geht in Ordnung, ich bin mir sicher, dass Livedarbietungen ordentlich abgehen (bei den Steam Punk zugeordneten Coppelius liegen ja auch Lichtjahre zwischen den mauen Alben und den genialen Liveevents). Vorsichtiges Reinhorchen kann aber lohnen.