Und mal wieder eine Kritik, bei der ich biographisch ansetze: Black Metal ist mir sehr wichtig. Black Metal trifft mich, berührt mich, bewegt mich, hilft mir in schwierigen Phasen, gibt mir oft Kraft und nicht selten eine Zufriedenheit, die nur wenige andere Genres bei mir erzielen. Definitiv nicht jeder Black Metal, um es klar zu stellen sicherlich eher nur eine Teilmenge der unterschiedlichen Sub- und Subsubgenres. Und seit jeher habe ich ein Problem mit „meiner“ Musikrichtung: Ich finde mich emotional im Gehörten wieder, aber nur sehr sehr selten in der Selbstdarstellung und in den Texten der Musiker. Harte Satanisten, nietenbesetzte War Metaller, Selbstzerstörende blutig in der Dusche, viktorianische Vampire mit Hang zu nackter weiblicher Begleitung, episch rollenspielende Germanen/Wikinger, astrale Wüteriche, esoterische Sinnsucher oder (in nicht unerheblichen Ausmaß und oft mit anderen Richtungen verknüpfte) echte Rechte – die Rollenauswahl ist so groß wie uninteressant für mich. Mit wenigen Bands wie die unaufgesetzten Suidakra oder Nocte Obducta konnte ich mich zumindest teilweise identifizieren. Und warum hole ich so episch aus? Weil ich hellauf begeistert bin vom ‚Pale swordsman‘!

Da sitzt ein Crying Orc und sieht weder aus wie ein Orc, noch sehe ich ein Weinen. Aber pfeifen wir mal auf das Pseudonym und schauen uns das gesamte Cover an: Auf einem bequemen Sofa mit Schwert und Rose, eher leichenartiges Corpsepaint und Stoff statt Leder und Nieten – so sitzt sie da, die androgyne Person hinter Këkht Aräkh aus der Ukraine, die mir bereits zum zweiten Mal eine klasse Zeit verschafft. Und es ist nicht nur die Musik, die mich erfreut. Es ist auch diese unaufgesetzte, schwerromantische und so gar nicht typische Selbstdarstellung, die mir imponiert. 2019 war das Debut ‚Night & Love‘ bereits ein besonderes: old schooliger Black Metal, räudig aufgenommen und vermischt mit folkiger oder dungeon synthiger Abwechslung. Es gab viele schöne Momente in dieser akustischen Liebeserklärung an den norwegischen Sound der frühen zweiten Welle und Titel, Stimmung und Covergestaltung stachen bereits bei diesem ersten Gehversuch heraus. Die 42 Minuten waren aber noch ein wenig zerfahren, noch mehr wie eine Sammlung einzelner Stücke, die wild zusammengeworfen eine erste Werkschau darstellten und erahnen ließen, wohin die Reise gehen kann.

Der ‚Pale swordsman‘ ist genau in die Richtung gegangen, die ich mir erhofft hätte: Weiterhin ist der Klang der Aufnahmen sehr roh, lo-fi aber nicht verrauscht oder (wie so oft) schlichtweg scheiße. Këkht Aräkh (und fragt mich bitte nicht, wofür das steht oder was es bedeutet) schafft die Balance zwischen Kellerklang und kopfhörergeeigneter Abmischung. Es klingt fast wie alte Kassettenaufnahmen aus den frühen 90ern, immer leicht dumpf, leicht leiernd aber nie diffus. Und das ist perfekt, denn Crying Orc haut in 32 Minuten zehn Stücke heraus, von denen sich jedes Einzelne in meinen Playlisten wiederfinden wird! Jedes. Einzelne. Nach einem wunderschönen Klavierintro mit leicht anklingenden E-Gitarren Riffs, die eine zu verklärte Stimmung verhindern, rumpelt „Thorns“ fantastisch los. Ein wenig die alte Dark Throne Schule, holterdipolter Drumming und sägende Gitarren, aber immer ein leicht verschwommen wahrnehmbares Keyboardspiel und die immer wieder einsetzenden Klaviermelodien, die nach alten Grammophonaufnahmen klingen, ergeben zusammen mit den angenehm unaufgeregten Screams ein großartig feingetuntes Klangerlebnis. Das ist genau mein Sound! Es folgt Stück auf Stück nicht die Wiederholung des bereits Gehörten sondern die Bereicherung zu bereits Gutem. Ich hebe mal „Amor“ hervor, ein melancholisches Duett von Klavier und E-Gitarre, dann das reine Klavierstück „Nocturne“, das klarstellt, dass der Musiker hinter Këkht Aräkh nicht zum ersten Mal an den Tasten steht und schließlich das wundervolle „Crystal“, das ähnlich „Thorns“ eine ganz eigene Magie schafft. An dieser Stelle fiel mir noch ein Vergleich ein – vor einigen Jahren hatte ich mich in den Song „The vaultventurer“ von Licht Erlischt verliebt. Këkht Aräkh klingen bei „Crystal“ wie eine schnelle Version und auch die Vocals sind ausgesprochen ähnlich. Ein echter Knaller! Und schließlich bin ich Baff beim Outro und quasi Titeltrack „Swordsman“ – nicht viele old School Black Metal Alben wurden mit einer hauchzart gesungenen Klavierballade beendet und da auf der Bandcamp Page keine weitere Angaben gemacht wurden gehe ich davon aus, dass Crying Orc hinter diesen sehr weich klingenden Vocals steckt. Ein Traum von einem Abschluss.

Muss ich deutlicher werden? Kann ich deutlicher werden? Ich empfehle dringend jedem, der mit old schooligem Lo-Fi Black Metal mit wahrnehmbaren aber nicht in den Mittelpunkt gerücktem Keyboards etwas anfangen kann, die Bandcamp Seite anzuklicken und zu lauschen. Ach was, greift gleich zu – ich kann nichts zur Qualität der CDs, LPs oder Kassetten sagen, die anscheinend eher in Eigenproduktion erstellt werden, da meine bestellte Ware noch unterwegs ist, aber die Qualität der Musik und das Besondere in der (Selbst)Darstellung und Stimmung sollten Würdigung finden. Deswegen kann ich mich auch nur dafür aussprechen, dass nicht auf das Angebot eingeht, und kostenlos beide Alben lädt, sondern ein kleines Sümmchen dazulassen – es wäre mehr als verdient. Der ‚Pale swordsman‘ ist absolut großartig, 32 Minuten erscheinen kurz, aber da ich das Album eh in Dauerschleife höre, fällt das kaum ins Gewicht und ich bin ausgesprochen froh, dass Këkht Aräkh nicht eine weitere Band ist, die denkt, Lieder unter 10 Minuten können gar nicht gut sein. Die hier enthaltenen Songs dauern meist zwischen zwei und vier Minuten, sind dennoch abwechslungsreicher als viele Monumentaltitel aus der DSBM oder Atmospheric Black Metal Schiene und wirken dennoch nie gehetzt. Ein Kunststück. Daumen hoch für Black Metal, der es schafft, mit den gewohnten Zutaten doch ein klein wenig eigenen Raum einzunehmen und mitreißen zu können. In diesem bisher fantastischen Jahr, wenn es um Musik geht, die mir gut gefällt, ist ein weiteres Album hinzugekommen, dem ich Langzeitfreuden unterstelle. Und es ist erst April...

 

Këkht Aräkh

Pale swordsman

 

10.04.2021

Eigenproduktion

 

https://kekhtarakh.bandcamp.com/album/pale-swordsman

 

01. Intro
02. Thorns
03. Night descends
04. In the garden
05. Amor
06. Nocturne
07. Amid the stars
08. Lily
09. Crystal
10. Swordsman