Das hat jetzt aber ordentlich gedauert – bereits Ende des letzten Jahres erreichte mich das dritte Album des isländischen Damen-Trios, die ihren Blickwinkel auf eher traditionellen Dark Wave auch dieses Mal sehr schön umgesetzt haben. Warum ‚Undir köldum norðurljósum’ eine wirklich schöne Bereicherung des Genres darstellt und es dennoch wohl nicht zu viele hören werden, folgt in den folgenden Zeilen. Zunächst einmal, weil es in Zeiten der digital konsumierten Musik so wichtig ist, dies zu unterstreichen: Das Digipack ist ein wunderschönes Juwel an ansprechender Gestaltung. Nicht nur passen die fantasievollen Zeichnungen zur Stimmung der enthaltenen Musik, nein, es ist auch für sich ein in meinen Augen echter Hinkucker. Aber ich bin nicht hier für Äußerlichkeiten, ich äußere mich zu den inneren Werten. Und da setzen Kælan Mikla ihren bisher beschrittenen Pfad fort: Zu hören gibt es elektronische Klangwelten, die langsam und irgendwie passiv eine Stimmung erschaffen, die gleichzeitig abweisend, bzw. wenig markant scheint und doch druckvoll genug ist, um tanzbar zu bleiben. Das da ganz viele seit den 90ern verloren geglaubte Synapsen im Kopf wieder anspringen ist wunderbar und ich genieße diesen Mix von saftig viel elektronischer Klangteppiche, zurückhaltender, aber trotzdem effektvoller Drumprogrammierung und minimal eingesetzter Saitenzupferei. Der Gesang ist, ganz in der Tradition ebenjener Tage, eher abweisend, unterkühlt – ich bin begeistert. Besonders ist das Trio vor allem durch den Einsatz von Kreischern und anderen Vocal-Einsprengseln, die die Dramatik erhöhen und mitreißend wirken. Dadurch wirkt das Projekt etwas seltsamer, etwas besonderer und ich fühle mich (emotional) wie bei Kate Bush oder Björn. Etwas schräg, etwas eigenwillig und ganz unnahbar. „Sólstöður“, „Halastjarnan“ und „Ósýnileg“ sind meine Favoriten, aber abgesehen von „Óskasteinar“ und „Haman“, die nur gut sind, gefallen mir alle Titel dieses Albums, auch wenn sich, wie schon damals typisch für das Genre, bei einem Gesamtdurchlauf Ermüdungserscheinungen einschleichen. An der Single ‚Hvítir sandar‘ beteiligten sich dann auch noch Alcest mit typisch in die Unendlichkeit gerichteten Gitarren und sehr in den Hintergrund gemischten Kreischern – ein schöner Track, aber das oben genannte Trio bewegt mich deutlich mehr. Wer also noch einmal das Vogelnest hochtoupieren möchte, um den Abend traurig im Einheitsschritt zu verbringen, der hat hier den perfekten Sound zur Vorbereitung und zum Vorglühen. Da meiner Erfahrung nach Dark Wave quasi nicht mehr gespielt wird in düsteren Tempeln und wenn, dann nur die klassische Ware, die seit 30 Jahren gut geht, muss man sich die Isländerinnen wohl für den Heimgebrauch ordern. Macht das aber bitte – diese Zeitreise lohnt sich wirklich. Kælan Mikla - Undir köldum norðurljósum Artoffact Records / 15.10.2021 https://www.kaelanmikla.com/ / https://kaelanmikla.bandcamp.com/ 01. Svört augu 02. Sólstödur 03. Örlögin 04. Halastjarnan 05. Osynileg 06. Sírenur 07. Stormurinn 08. Oskasteinar 09. Hvítir sandar (feat. Alcest) 10. Saman