Ein Jahr nach seinem Debüt „Cold Fruit“ meldet Johnny Labelle, der griechische Sänger und Songwriter, sich mit seinem Album „XVIII“ zurück. Zunächst als Demoversionen gedacht, wurden die Songs in 2020 unter Produzent Vasilis Dokakis vollendet. Selbst bezeichnet als Elektropop mit Ambient- und Darkelementen, erwartet den Hörer weitaus mehr. Wer sich auf das Werk einlässt, öffnet Türen, die er vielleicht längst geschlossen hatte und das mit einer dermaßen großen Portion Gefühl, dass es einen erdrücken möchte. Bereit in dich hineinzuschauen? Was ist er für dich – der Traum, den du schon so lange in dir trägst? Nur ein Traum, eine Vision – längst abgetan? Ist es die Vision eines Landes in Harmonie, ist es deine Harmonie? Ist es eine Liebe – deine Liebe – die du stets in dir trägst und doch mit einem Schleier bedeckst? Aufgegeben? Johnny Labelle wagt sich hinein – und zwar mitten hinein in all diese tiefsitzenden Gedanken und Bilder des Herzens. Und so steigt „Dolphins“ wavig zart und geheimnisvoll ein, melancholisch streichend und streichelnd. Du hüllst dich in leichtes Trommeln, verharrst im Jazz-gleichen Gemisch, lauscht dem trompetenden Ruf und plötzlich ist es wieder da, das, was da in dir schlummert. Und es ist wie eine Rückblende. Hast du eben noch das Kind in dir gelebt, weißt du doch, alles ist vergänglich – alles, auch dein Traum. Oder? „Sometimes I think about Saturday´s child and all about the time when we were running wild.“ Und du suchst deine Lebendigkeit, in den Wellen, die dir entgegenströmen. Wo ist sie? Die tiefe Männerstimme führt dich melancholisch und erinnernd auf gleitendem Wave. Blechernd fängt dich kurz das Schlagzeug ein, dann sanft trommelnd und irgendwie unruhig unter dir. Trompetend ist der Ruf erneut und du weißt, der Gefühlsschwall wird hervorbrechen, je tiefer du eintauchst. „Doppelgänger“ steigt genauso wavig ein, doch hier ist es die Akustikgitarre, die dich gedämpft mitnimmt – „swingig“ gefühlvoll und es „tropft“ noch das Meerwasser der Rückblende auf dich herab. Der Synth streichelt einzeln und lässt dich gleiten. Du hast es gespürt. Oder? Es war größer, als alles, was du kanntest. „These eyes locked into my eyes… I couldn´t help it this time…“ Aber der Fall kommt. Oder? „It´s there in the clouds of afternoon skies. It´s there in the fields of hardship and troubled times…“ Es ist immer da. „AK“ steigt mit gedämpften Beats ein. Sie schlagen wie dein Herz. Die Elektronik wabert verhalten im Rücken. Erinnernd und leicht verwaschen schreitet das Piano. Der Synth wandelt sich hoch, der Wave zeigt sich geschmeidig, während die Beats versuchen, flott zu vereinnahmen und doch dem gleitenden Gemisch erliegen. Lange Wortpausen zwischen den Zeilen gefallen mir, wie das untersetzte Echo, das die Tragik des Titels unterstreicht, der düstere kriegerische Bilder aufwirft. „Please, please help!“ Zerstörung, Untergang und griechische Mythologie. Was ist dieser Untergang für dich? Zirpend steigt das Synth-Wave-Gemisch an, während die Stimme nun melodischer schreitet. Gibt es Erlösung, eine Auflösung des Dunklen? Im Widerspruch dazu steht wieder „In the Sun“, ein Titel, der dich verspielt und liebevoll wieder auffängt von den düsteren Visionen. Das Schlagzeug spielt gedämpft mit. Die Stimme erhebt sich melodisch, zum Teil untersetzt. Auch hier stehe ich auf die Stimmpausen. Noch einmal versucht die Elektronik, den süßlich frechen Reigen aufzubrechen, doch es wird lieblich auf stetigen Schlägen getanzt. Und du lässt wieder all diese Gedanken zu. „In the sun our bodies meeting. How close to the sun? Before we get burnt…“ Und letztendlich bleibt die Frage: „Is it worth it waiting all alone?“ Müsste ich einen Favoriten wählen, wäre es wohl dieser Track. Und wieder folgt der Gegensatz mit „Greek Dark Age“. Schräg schreitet der Synth auf dumpfen Schlägen. Hier und da horcht das Schlagzeug metallisch auf, während es im Untergrund gleitend vorangeht und dich die gefühlvolle Stimme einfängt. Lethargie! „Run as fast as you can. Leave forever. Never look back.“ Doch selbst die Flucht – was bleibt nach dem dunklen Zeitalter? Was, wenn du nicht fliehst? Es bleibt. Die Erinnerung und alles, was vergraben liegt. „There´s so many dead buried under the street that sometimes I think I hear their screams…“ Griechenlands dunkelste Zeit. Wie sieht es mit deiner aus? Was ist mit deinem Traum? Zart, gleitend wavig schließt „Beginning of the End“ an. Du hörst das liebliche Pfeifen und irgendwie hat es was von „Elvis der Erinnerung“. Ein schöner Traum in dir? Die Stimme führt, erzählend und letztlich melodisch. „It´s the beginning of the end, perhaps the end of the beginning…“ Wer weiß schon, wie es wäre? Und da sind Beats wie dein Herzschlag, gedämpft, schneller und doch gleitest du auf dem zartem Grund. Entsetzlich zeigt der Song auch die Vergänglichkeit auf. Oder nicht? „I had a dream. You were with me. There is no ball & chain. So let´s keep up…“ „Visceral“ holt zunächst das Düstere zurück, steigt verschwommen dunkel und wabernd lauernd ein. Fast verhöhnend schreitet die Orgel, vermischt sich mit melancholischen Streichern, bis sich die Stimme verdoppelt, mit zum Teil leicht versetzten Echo meldet – was mir gefällt. Sehr gefühlvoll lässt du dich wieder einhüllen. „… our flaming hearts beating in synchronicity… a light among them brightened… nothing darker… than overexposure…“ Nun, da alles aufgebrochen und aufgewirbelt ist, ist es Zeit für das Instrumentalstück „Disillusionment“ und alles liegt brach. Oder? Bedrohlich holt dich die Frequenz zurück, wächst windig an, bohrend und unruhig. Du wartest auf den finalen Knall, doch er kommt nicht. Vernimmst du ihn noch, den zarten Wave, der dich wieder in deinen Traum locken will? Einen schönen Traum? Doch die Frequenz ist stärker. „Poseidonia“ – und du sitzt gedanklich in der Bar deines Lebens, eingefangen in etwas zwischen Swing und Jazz. Du willst es - noch einmal diese Sucht ausleben: dieses Gefühl! Träume ziehen davon, verblassen und lassen das Herz gebrochen zurück? Deine Seele kennt sie noch, diese Träume. „The songs of the singer are tones that repeat. Thy cry of the heart till it ceases to beat…“ Zarte Tasten, gefühlvolle Worte. „I want to die while you love me, while yet you hold me fair, while laughter lies upon my lips and lights are in my hair…“ Und so hoffst du innig, dass es die Küsse aus deinen Träumen sind, die dich am Todesbett wärmen. Johnny Labelles „XVIII“ steht für Hingabe und viel Gefühl – mit meinen Worten – dunkle „Balladen“, hier und da tiefschwarz die Vergangenheit eines Zeitalters aufgreifend, mit dem du längst abgeschlossen haben wolltest. Wer in sich gehen will, ist hier gut aufgehoben. Mir persönlich fehlt inmitten der herzergreifenden Lethargie der ausbrechende Knall, der mich ganz und gar melodisch mitreißt. Aber das ist Geschmackssache. „I had a dream… So let´s keep up… while lights are in my hair…“ 04.12.2020 Inner Ear Records [https://www.johnnylabelle.bandcamp.com] 01. Dolphins 02. Doppelgänger 03. AK 04. In the Sun 05. Greek Dark Age 06. Beginning of the End 07. Visceral 08. Disillusionment 09. The Dreams of the Dreamers