Aufgeschoben heißt nicht aufgehoben. Und so nehme ich mir pünklich zum Erscheinen des Zweitwerks "Maskenball der Nackten" doch zunächst Henke's Erstling "Seelenfütterung" vor, um im Anschluss innerhalb der Kritik zur aktuellen Scheibe besser vergleichen zu können. Die erste "Seelenfütterung" fand vor fast 2 Jahren statt und hinterließ zumindest bei mir und meinem Umfeld bleibenden Eindruck. Das neue Projekt um den ex-Goethes Erben Oswad Henke war Frischzellenkur und Fortsetzung in einem und funktionierte auf Albumlänge und gerade live perfekt. Herr Henke hatte sich mit 3 zum Teil recht jungen Musikern zusammengetan um einen Neuanfang zu wagen. Doch wie kann etwas Neuanfang sein wollen, wenn mit Oswalds Sprechgesang ein Stilmittel verwendet wird, das deutlich mit dem ehemaligen Hauptprojekt in Verbindung gesetzt wird? Ist der Versuch nicht automatisch zum Scheitern verurteilt, die Beteiligten Musiker nur gesichtloser Ersatz für die ehemalige Weggefährtin Mindy Kumbalek – zumal der neue "Bandname" dann auch nur der Nachname des bekannten Musikers ist? Nach 2 Jahren mit dem Album und dem Erleben der Stücke und der Band auf Konzerten habe ich die anfänglichen Bedenken überwunden. Henke ist ein neues Kapitel in der Karriere des oft diskutierten Musikers, das sicherlich nicht jeden Alt-Fan glücklich machen kann, es aber auch nicht will. Henke ist gute, dunkle, bisweilen rockige, ganz oft sehr emotionale und fast schon epische Musik irgendwo zwischen der schwarzen Szene, Indie-Rock-Bands und unkommerziellen Pop. Oswalds Stimme ist wie eh und je – genial für die einen. Für die anderen eben nicht. Seine Texte haben sich im Gegensatz zu Erben Zeiten verändert, auch wenn es schwerfällt, dies genau zu benennen – ich habe das Gefühl, das sie im Kern etwas verschlüsselter sind und doch direkter wirken. In jedem Fall sind sie nicht mehr allein im Mittelpunkt des Geschehens sondern stehen meist gleichberechtigt neben den Melodien. Große und mitreißende Titel finden sich in meinen Ohren mit "Weil ich es kann", "Wer mich liebt", "Vom A zum F" und dem genialen "Ich protestiere". Wundervolle Stücke die seit 2 Jahren immer wieder meinen Alltag begleiten und die das Album im Nachhinein auch ein wenig verklären. Doch während der Bearbeitung des Nachfolgewerkes betrachtete ich die "Seelenfütterung" noch einmal und kam zum Schluss, dass Henke zwar ein Debut mit 4 starken Songs geschaffen hatten, die restlichen Lieder aber zugegebenermaßen "nur" gut bis nett sind. Wirkliche Ausfälle gibt es keine, der "Maskenball der Nackten" ist aber in seiner Gesamtheit stärker. Trotz dieser Kritik auf sehr hohem Niveau ist das Album ein Pflichtkauf für alle Oswald Henke Fans mit Ambitionen zu rockigeren und deutlich zugänglicheren Klängen und einer größeren Masse Interessierter, die wohl nie zu den Erben gefunden hätten. Doch nun weg mit den Klamotten und auf zum "Maskenball der Nackten".