Greifenkeils erste CD - schlicht "Greifenkeil" betitelt, ist zwar schon Ende April erschienen, jetzt aber nochmals in neuem Gewand: in einer aufwändig gestalteten Box mit drei Kunstdrucken und handsigniert von Greifenkeil selbst, limitiert auf 99 Stück. Das zeigt schon wo es hingeht: Niveau statt Masse. Das Projekt selbst positioniert sich musikalisch in den Bereichen Electro, Industrial, Ritual und Dark Ambient (links steht Genre: "Electronic", zugegeben etwas verwirrend, aber wir haben leider kein Genre für Künstler deren Schaffen sich nicht auf eine Denkschublade reduzieren lässt). Dieses breite musikalische Spektrum spiegelt sich in den Tracks der vorliegenden CD wieder. Das ist schon das erste was ungewöhnlich ist und mir sofort auffiel: Kaum einer der arrivierten Künstler schafft es so einen breiten Querschnitt der Stile auf einer CD zu vereinen, ohne dabei den berühmten roten Faden zu verlieren.

Es ist schon einfacher gewohnte Hörklischees zu bedienen - aber diese fallen hier weg: es gibt auf dem Keyboard halt nicht nur die Dancefloor Presets und auch das gemeine Tanzbein im Volk verdient mehr als nur "four on the floor" aka Technobeat. Kiss of the Shadow, Schau nach Vorn, Irina, Virus und Into the Void sind eindeutige Elektrotracks, auch sehr clubtauglich Elektro muss aber nicht inhaltsloses Clubstampfe sein, sondern kann durchaus anspruchvollere Themen aufgreifen - am Beispiel "Irina": Irina, eine Rumänin ist Anfang 2005 von fanatischen Christen gekreuzigt worden, da man meinte das Böse, den Teufel austreiben zu müssen. Die Tat ist bis heute nicht vom Vatikan verurteilt worden. Jede andere Organisation - welcher Art auch immer - hätte in Windeseile reagiert um Schaden zu vermeiden. Hier hätten andere aus Opportunismus und mangelnder Courage wohl eher geschwiegen.

Irina & Memoriam sind daher definitv mein Soundtrack zum Papstbesuch: Aufrütteln statt Einlullen! Memoriam - ein Ambient/Electro Track greift die Problematik nochmals etwas subtiler, ruhiger auf wie eine Reprise, die mir sehr gut gefällt, da sie erst beim mehrmaligem Hören volle Wirkung entfaltet. Into the Void hat etwas von der minimalen Kühle der frühen Elektro/Wavestücke, und vertont eindrücklich die Verlorenheit/Abgründigkeit der modernen Welt und ihrer Entartung. Indus und Oxus Underearth sind komplexe Industrialtracks, die intelligent und vielschichtig produziert sind und archetypische Bilder hervorrufen. Durchaus auch etwas für den Kopfhörer und nicht gerade leicht zugänglich - aber interessant. Her Name, Zauberwald und Geflüster verbinden Dark Ambient und Ritual auf eine bis dato selten gehörte Intensität und Tiefe: entweder man hat nur diffuse Klangflächen oder zuviel Rhythmen (Ritual) ohne tragende Komposition. Diese Stücke zeichnen Bildern und deuten in Richtung einer mystisch-magischen Welt, die weit entfernt scheint aber vielleicht für manche wieder wach wird. Wer weiss.

Mehr Hintergrund Informationen finden sich auf der website von Greifenkeil und natürlich auch im booklet. Mit 11 Tracks und einer Spieldauer von fast 76 Minuten wird auch etwas geboten fürs hart verdiente Geld. Ich denke spätestens hier wird ein bisschen klar, dass hier kein stereotypes Industrieprodukt präsentiert wird, sondern ein vielschichiges und künstlerisch höchst interessantes Performanceprojekt, das mit Bewegung, Tanz, Drama, Sprache, Licht Schatten und natürlicher guter Musik die Audienz beeindrucken wird. Man darf gespannt sein.