Medienkonverter: Ok, also ich spreche mit Oswald und Mindy. Ist das richtig?

Goethes Erben: Richtig.

Super, gleich alle beide. "Nichts bleibt wie es war", neue Produktion. Ungewollt jetzt aktuell geworden.

Ja, manchmal holt einen die Zukunft ein.

Da werdet ihr, denke ich, oft drauf angesprochen.

Also in den Interviews: Ja. Das ist einfach ein Fakt, dass seit dem 11. September gewisse Dinge im Leben anders betrachtet werden und wir auch gewisse Themen auf dem Album jetzt anders sehen. Nicht von dem was wir gedacht haben, als wir das Lied schrieben, aber plötzlich bekommt es eine andere Aktualität.

Also zornige Utopien können auch wahr werden.

Das ist ja das schlimme daran.

Glaubt ihr, dass der Untergang der Welt kurz bevor steht?

Nein.

Habt ihr doch noch Hoffnung, dass es irgendwie weiter geht.

Sonst würden wir nicht so ein Album machen. Die Anfänge von Goethes Erben waren ja relativ einseitig und sehr düster. Eigentlich auch sehr kompromisslos. Aber im Laufe der Jahre ist man eben älter geworden und hat Erfahrungen gesammelt und letzten Endes ist "Nichts bleibt wie es war", das Album, ein Ausblick in eine Zukunft und wir sehen die Zukunft als nicht in Stein gemeißelt, sondern als Variable an, die jeder mit seinem eigenen Leben und Zutun verändern, zu einem hoffentlich besseren bringen kann.

Möchtet ihr etwas verändern mit euren Texten mit eurer Musik?

Ja, weil wir ja was mitzuteilen haben. Wir sehen uns nicht als politische Gruppe oder sonst irgendwie oder wollen mit dem erhobenen Zeigefinger irgendwelche Leute bekehren zu irgendwas. Ich bin ja auch kein Sektenführer. Aber letzten Endes hoffen wir, dass wir einen kleinen Beitrag dazu leisten. Vielleicht denkt der eine oder andere über gewisse Sachen mal nach, über die er sich sonst keine Gedanken gemacht hat, wenn er unser Album gehört hat.

Mit "Die Brut" habt ihr ja doch Stellung bezogen.

Ja, aber ich sehe das eher als ein ethisches Statement an. "Die Brut" geht zwar vordergründig gegen rechtsradikale Gewalt, aber wir haben damals bei dem Minialbum "Die Brut" genauso staatliche Gewalt verurteilt. Es geht darum, Gewalt ist kein politisches Thema, sondern eher ein ethisches, menschliches Thema. Wir setzen uns grundsätzlich mit solchen Themen auseinander. Wir unterstützen keine Politiker und wir unterstützen auch keine bestimmte Form von Glauben. Letzten Endes geht es uns darum, das was uns berührt, uns bewegt, uns im Denken festhält, fesselt und beschäftigt, künstlerisch umzusetzen.

Ihr sagt, Ihr habt sehr düster angefangen, wurdet auch damals, so vor 12 Jahren, in die Schublade neue deutsche Todeskunst gesteckt. Ist der Tod irgendwie noch ein Thema für Euch?

Ich denke ja. Der Tod ist immer ein Thema für Goethes Erben, weil es nun mal ein unumstößliches Faktum im Leben eines jeden Menschen ist, dass er irgendwann sterben wird. Auf dem Album handelt beispielsweise "Zimmer 34" auch vom Tod.

...und ist ein großes Tabu.

Das ist das Problem und aus diesem Grund setzten wir uns immer wieder damit auseinander. Ich halte es für vernünftiger, in einem stabilen Stadium seines Lebens sich mit unangenehmen Dingen auseinander zu setzen, dann kann man zumindest nicht darüber stürzen oder stolpern oder abstürzen. Wenn man sich mit Tod und Krankheit auseinandersetzt, zu einem Zeitpunkt, wo man nicht direkt betroffen ist, dann kann man vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt, wenn man dann wirklich betroffen ist, ein bisschen besser damit umgehen. Das ist einfach meine Theorie.

Hört sich ganz vernünftig an. Wie kam es eigentlich damals zu Goethes Erben, also wie habt Ihr Euch gefunden.

Goethes Erben gibt es seit 1989. Das sind ja jetzt schon 12 Jahre. In der ersten Zeit bestand Goethes Erben aus Peter Seipt und mir. Das war ein damaliger Arbeitskollege von mir, der ebenfalls wie ich bei der Krankenpflege beschäftigt war und dort seine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert hat. Ich kam damals komplett unbedarft in musikalische Gefilde, da ich im Vorfeld nur Amateurtheater gespielt habe, allerdings auch irgendwann einmal der Meinung war, ich möchte jetzt was machen, was es zu dem Zeitpunkt noch nicht gab. Nämlich eine extrem dunkle Form von deutschsprachigem Musiktheater und so habe ich einfach mit Peter Seipt begonnen, eine eigene musikalische Welt aufzubauen. Z.B. das erste Goethes-Erben-Stück, das jemals geschrieben wurde, ist "Der Spiegel" und das zweite war dann "Das Ende". Das sind die ältesten Erben-Titel.

Hat deine Erfahrung als Krankenpfleger, da kommt man ja mit Tod, Krankheiten und schwerer Krankheit in Berührung, dazu beigetragen, dass Du das gemacht hast, was Du gemacht hast?

Ja, deshalb sind auch gerade die ersten drei Alben sehr, sehr düster und auch ein bisschen einseitig von ihrer Betrachtungsweise. Ich denke mal, das Denken ist im Laufe der Jahre bei Goethes Erben innerhalb der Innhalte wesentlich komplexer und vielseitiger Geworden.

Seht Ihr Euch als Erben Goethes?

Wir sehen uns als Vertreter der deutschen Sprache. Ich bin nun mal ein Mensch, der in deutscher Sprache denkt, träumt und auch seine Phantasien in dieser Sprache ausgestaltet und ich kann mich eben nur in dieser meiner Muttersprache ausdrücken. Deshalb die Assoziation zu Goethe. Allerdings sehe ich Goethe nicht rein als der Dichterfürst, sondern in erster Linie als das Synonym, das auf der ganzen Welt für deutsche Sprache, für deutsche Sprachkultur steht.

Siehe Goethe-Institut etc.

Genau. Ich wollte mich da nicht auf eine literarische Ebene heben und will das auch gar nicht, dass man uns mit solchen Leuten vergleicht, weil das ist einfach nicht der Sinn und Zweck gewesen, sondern ich habe das auch wieder relativiert, indem ich das eben so anmaßend gemacht habe oder inszeniert habe, dass ich das Erbe hinzugefügt habe, zu Goethes Erben. Es hatte einfach nichts mit Goethe zu tun. Es hat wirklich nur etwas mit der Verbundenheit zur deutschen Sprache zu tun.

Könnt Ihr Euch vorstellen, irgendwann mal was Instrumentales zu machen, einen englischen Titel oder überhaupt einen fremdsprachigen Titel?

Instrumentaltitel haben wir ja schon gemacht. Allerdings nur dann, wenn irgendwas anderes passiert ist, z.B. bei "Kondition Macht!" gab es vier reine Instrumentaltitel.

Das war aber eher ein Theaterstück.

Wir machen Musiktheater. Das kommt eben immer darauf an, was wir machen. Wir machen sehr unterschiedliche Sachen. Wie gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, mit Fremdsprachen zu operieren. Zumindest nicht als reine Fremdsprache. Es ja auch das erste Mal, dass auf einem Album Schlagwörter aus dem Englischen innerhalb eines Goethes Erben-Textes auftauchen. Das hat aber etwas damit zu tun, dass die Interpretation von "Nichts bleibt wie es war", dem Titelstück, eine Bearbeitung von einem Seitenprojekt von Goethes Erben, von Mindy Kumbalek ist. Dieses Lied heißt eben "Shockwave".

Gut, aber das habt Ihr ja dann verdeutscht, quasi bei Euch selbst gecovert.

Aber nicht jedes Wort. Es gibt einzelne Wörter wie now oder shockwave, die übernommen wurden. Der Rest des Textes wurde modifiziert, um auch eine Eigeninterpretation und vor allem meine Interpretation in die deutsche Sprache herüber zu retten und vor allem auch meine Art von Interpretation einzuordnen.

Du siehst dich eher nicht als Musiker?

Als Unterhalter. Wenn ich auf der Bühne Goethes Erben live präsentiere mit der Band, dann bin ich das Bindeglied zwischen den Leuten auf der Bühne und dem Publikum.

Wenn Ihr auf der Bühne steht oder wenn Du auf der Bühne stehst, ist das geprobt, einstudiert wie bei einem Schauspieler oder ist da viel Improvisation dabei.

Das ist oft sehr unterschiedlich. Bei "Kondition Macht!" war eigentlich alles inszeniert, d.h da wurde jede Bewegung auch von den Musikern, den Tänzerinnen und auch meine Dramaturgie, mein Umgang mit der zweiten sprechenden Rolle, die damals von Juliane Ihl dargestellt wurde, einfach inszeniert, das war einfach reines Theater, während bei "Nichts bleibt wie es war" gibt es gewisse Stücke, wo ganz klar ist, da hat genau der Musiker sich so zu bewegen oder ich habe auch gewisse Sachen, die bei bestimmten Liedern, bestimmten Punkten passieren, aber es ist wesentlich freier, wesentlich improvisierter, vor allem im Gegensatz zu einem starren Konstrukt, eines Stückes wie "Kondition Macht!", habe ich da auch den Vorteil, in Interaktion mit dem Publikum zu treten. D.h. ich gehe auch ganz anders mit dem Publikum um. Das sind nicht zwei Fronten, die, die konsumieren und die, die was anbieten, sondern ich möchte gerne, dass es eine Einheit wird. Das Ganze soll ein Ereignis für alle werden.

Ist es nicht schwierig, diese Theaterform, losgelöst von der Liveperformance auf einer CD darzustellen oder abzubilden?

Das war bislang eigentlich auch immer unser größtes Problem, dass wir nicht unbedingt das auf Tonträger gebannt haben, was bei Goethes Erben live passiert ist. Das ist aber auch ein großes Problem von einem eindimensionalen Tonträger. Man sieht nicht das, was wirklich passiert. Die ganze Optik geht verloren. Auch die Gefühle, die Stimmung, die durch Optik transportiert wird, die kann man eben auf einer CD nur ganz ganz schwer transportieren. Gewisse Lieder sind z.B. auf dem Album etwas oder ziemlich anders dargestellt, als sie live geschehen, z.B. ein Stück wie "Zimmer 34" klingt live dann doch noch mal größtenteils etwas anders las auf Platte.

Ich hab jetzt, glaube ich auf Eurer Internetseite, gelesen, Du oder Ihr macht eine DVD mit Videos zu jedem Stück. Ist das richtig?

Das ist korrekt. In meinen Augen das Medium, mit dem Goethes Erben sich am besten darstellen könnte.

Ihr setzt auf visuelle Umsetzung...

Das machen wir natürlich ganz alleine. Da organisiere ich nicht irgendwelche Regisseure, die sowieso etwas wieder ganz anders interpretieren, als ich es gesehen hätte oder wollte. Zusammen mit unserer Grafikerin Ulrike Rank werden wir das so umsetzen, wie ich mir das vorstelle, von der Optik und der Dramaturgie. Man darf sich das nicht als Film vorstellen, man darf sich aber auch gar nicht als Videoclipaneinanderreihung vorstellen.

Also auch live arbeitet Ihr mit Videos.

Alles was wir uns leisten konnten, haben wir auf die Bühne gebracht.

Ihr habt doch auch diese Sache gemacht im Planetarium Jena. Da gibt es ja auch viele Effekte, Lasereffekte usw.

Die haben wir auch voll und ganz ausgenutzt. Es war ein sehr beeinduckendes Bild, als 15 Meter groß im Raum Goethes Erben und unsere Namen standen.

CD-Cover, macht Ihr die selber?

Alles was mit Erben-Optik zu tun hat, das überlasse ich in erste Linie Ulrike Rank. Wir arbeiten da sehr eng mit ihr zusammen. Ich komme öfter mal nach Bremen und dann arbeiten wir zusammen sie Optik aus. Aber ich kann ihr da auch blind vertrauen, dass ich mal nicht kommen müsste. Manche Cover funktionieren einfach. Ich sage ihr ungefähr, wie ich es mir vorstelle und sie bietet es uns dann an. Das funktioniert hervorragend. Man kann Ulrike Rank als Ensemble-Mitglied von Goethes Erben betrachten. So wie jeder Musiker seine Rolle beiträgt, so ist Ulrike Rank für den Aspekt der Optik zuständig. Außerdem hab ich sie auch damals bei der Inszenierung von "Kondition Macht!" als Co-Regisseurin mit ins Boot geholt, da sie auch einen ganz anderen Blick von außen auf etwas hat, als wenn man auf der Bühne steht und sich inszeniert.

Also Ihr versucht in allen Ebenen präsent zu sein, auf der visuellen Ebene, auf der musikalischen Ebene und bei den Lyrics, alle Kanäle, wo man Informationen irgendwie transportieren kann, zu nutzen.

Genau, die Stärke darin liegt, dass ich zwar der Oberkopf bin, aber dass ich auch sehr wohl den Leuten den Raum bieten kann, ohne dass ich jetzt jedes Wort von denen, oder jedes Zeichen oder jede Note, die sie spielen kontrollieren und bewerten müsste, einfach mal laufen lassen kann, d.h. ich kann mal die Leine loslassen. Die arbeiten einfach und bereichern das Ganze. Ich versuche immer möglichst die Kreativität von den Leuten zu kanalisieren. Das ist wie ein Kapitän auf einem Schiff, aber ein Kapitän allein auf einem Segelschiff könnte gar nichts machen. Denn wer kann so ein Segelschiff führen, ein Kapitän allein sicherlich nicht, dazu benötigt er eine Mannschaft und jeder hat eine Funktion auszufüllen. Ich glaube die Mannschaft, die "Nichts bleibt wie es war" auf Kurs gebracht hat, verdient meine Hochachtung.

Vielen Dank für Eure Zeit und das Interview.