Aus Kanada landete in meinem Player das vierte Album einer mir bis dato nicht bekannten Band. Aber Dank der weltweiten Vernetzung, den heutigen technischen Mitteln, mit denen (fast) jeder gut Klingendes programmieren kann und der dem medialen Overkill, der veröffentlichungstechnisch jeden Monat die Hörer quantitativ bombardiert ist es eben kein Wunder, wenn man gefühlte 70% aller Namen nicht kennt. Also berichte ich einfach von "einem" Elektro-Album - bevor ich mich intensiver mit der Band und deren Geschichte befasse muss das Album entweder musikalisch knallen oder das Bandfoto und einzelne Hits nicht mehr aus der Szene hinwegzudenken sein. Beides ist nicht der Fall, ich präsentiere aber immerhin solide Kost für Nimmersatte: Glenn Love mit "Delusion of reprieve". Angesprochen dürfen sich vor allem Freunde düsteren Elektros mit vielen Querverweisen Richtung Stil der 90er. Die Tracks sind sehr melodisch, bieten eine Stimmung irgendwo zwischen Wumpscut, VNV Nation und dem Gruselflair von God Module. Die Bässe wummern nicht ganz so oft wie bei anderen Vertretern des Genres stupide im Dauertrakt. Die Wirkung der einzelnen Tracks kann man größtenteils als gelungen bezeichnen: "Delusion of reprieve" bietet zwar häufig Standartmelodien und -songaufbau, aber immerhin hat man sich gut am Standart orientiert, so dass die Lieder durchaus Spaß machen können (nur eben nicht umhauen). Aber schauen wir mal auf das Gesamtpaket: Der Einstiegssong "Be good, say good night" hat einen abwechslungsreichen Aufbau und könnte wesentlich mehr Spaß machen, wenn die Vocals nicht eine Spur zu sehr verzehrt worden wären. So klingt es ein wenig zu aufgeblasen (Schade vor allem, weil die Vocals bei den späteren Songs nicht so breitgezerrt wurden). Ach ja, kleine Randnotiz – die Texte kann und sollte man getrost ignorieren. "Gods of war" und "Conditional democracy" folgen in ihren ersten Versionen. Beide Songs finden sich jeweils in 3 unterschiedlichen Versionen auf dem Album, wobei die Orginale bereits wie verbasste Remixe klingen, was ein wenig schade ist. Denn beide Songs haben wirklich nette Melodien und Refrains zu bieten, die so leider etwas untergehen. Dies ist vor allem deswegen verwunderlich, da sie im Vergleich zum Einsteiger "Be good, say good night" klingen, als ob man sich nicht so viel Zeit nehmen wollte für eine abwechslungsreiche Programmierung. Das anschließende "Anger management" spricht mit seiner fast schon wavigen Melodie und dem witzigen Refrain Freunde älteren Sounds an. Das ruhige "Landscape of ruin" erinnert mich stimmunggstechnik ein wenig an Wumpscut, "More time to live" ist dann wieder ein gelungen abwechslungsreiches Stück solider Elektrokost. Beim folgenden "What fresh hell is this" werden sich sicherlich die Geister am Text scheiden. Ich bin dagegen: der Vergleich Krieg/Schlampe ("a new war is like a fresh whore, a cruel war is like an old whore") stößt mich zutiefst ab und macht viel vom positiven Eindruck manch anderer Songs kaputt. Der Titeltrack ist dann ein ruhiger und leider wenig nötiger weil wenig wertvoller Füller. Es folgen noch die 4 anderen Versionen der oben angesprochenen Lieder zwei und drei und dann ists vorbei. Solides Mittelmaß ohne wirkliche Clubtauglichkeit. Dafür klingt Glenn Love zu dumpf und die Melodien sind zu wenig knackig. Für den Heimgebrauch hingegen sind die Remixe, die dämlichen Texte und die ungünstige Abfolge der Songs eher hinderlich. In beiden Fällen stört die nicht sehr professionelle Abmischung. Insgesamt wirkt das Album noch nicht so ganz fertig (und auch das Coverartwork wirkt eher wie eine Zwischenlösung) und nicht wie das offizielle vierte Album einer Band. Aber da sind wir wieder bei den Folgen der modernen Musikindustrie. Genrefans können ein Ohr riskieren, alle anderen sparen das Geld für echte Knaller.