Die beiden Isländer Jóhann Eiríksson und Sigurður Harðarson haben kürzlich mit ihrem Projekt "Gjöll" ihr drittes Album auf Ant-Zen veröffentlicht. Da ich sie noch nicht kannte habe ich mir, um einen ersten Eindruck davon zu bekommen was mich erwartet, zunächst auf Youtube eine Aufnahme ihres Auftritts beim Maschinenfest 2009 angeschaut. In Folge dessen hatte ich damit gerechnet, auf "Sum Of Transformations" mit einer Power Electronics-Attacke à la Haus Arafna begrüsst zu werden, doch das auf dem dazugehörigen Sampler vertretene "Dérive", ihr Myspace-Profil und letztendlich auch das Album selbst belehrten mich eines Besseren. Gjöll kombinieren Gitarre und elektronisch-synthetische Soundscapes, sowie gesprochene oder geschriene Vocals, und laden ihre Musik ideologisch auf, was in Lyrics, Zitaten und Texten im Booklet Ausdruck findet, und eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Zustand der menschlichen Zivilisation und Affinität zu anarchistischen Konzepten verrät. Im Booklet befindet sich ein Text und ein Zitat, welche die Gedanken hinter der Musik vermitteln sollen. Der Text ist als unstrukturierter (von durch Punkte getrennten Abschnitten abgesehen) Gedankenstrom geschrieben, und handelt thematisch, wie auch das Zitat deutlich herausstellt, von der Arroganz der Menschheit gegenüber seiner Umwelt, der "Natur", und wie diese sich immer wieder der Kontrolle entzieht, wobei sich der Homo Sapiens in Widersprüche, selbstverschuldete Unmündigkeit und Selbstzerstörung verstrickt. Hierarchien, Abhängigkeiten und Macht werden hier kritisch hinterfragt. Das Zitat ist aus "Natural Anarchism In Action" von Pattrice Jones entnommen und nimmt antiautoritäres Verhalten und hierarchie-arme Organisationsformen in der nicht-menschlichen Tierwelt als Vorbild und Alternative zu Regierungen. Nun, ich würde an dieser Stelle gerne auf die argumentativen Fehltritte und widersprüchlichen Prämissen eingehen (Anthropomorphismen, latente Mensch-Natur-Dichotomie), die manchen Äusserungen zugrunde liegen, aber letztendlich geht es hier doch nur um die Musik. Will also sagen: Hinter der Musik von Gjöll steckt eine konkrete Idee, die auch eine Erwähnung verdient, und geprägt ist vom Widerstand gegen das, was im Allgemeinen als Selbstverständlichkeit bzw. etwas Unveränderliches abgetan wird, und dem Menschen selbst wie auch dem, was dieser als Umwelt wahrnimmt, schadet. Nun zum musikalischen Teil: "Natural Anarchy" ist gekennzeichnet durch einen alle 18-20 Sekunden angeschlagenen Akkord auf der Akustik-Gitarre und einem langsam verhallenden Delay. Diese reduktionistische Sound-Anordnung wird um gesprochene Vocals erweitert, und im letzten Viertel gesellt sich noch ein Distortion-Effekt zu den Akkorden. An dieser Stelle kann erwähnt werden, dass in den 7-10 minütigen Tracks dieses Albums nicht viel passiert, es handelt sich durchgehend um sehr repetitive, gleichförmige Kompositionen, die aber (interessanterweise) deswegen nicht zwingend langweilen. "Abandon All Hope" präsentiert sich mit pulsierendem Beat, und allmählich lauter werdender, wabernder Wall of Sound. Zusammen mit den einsetzenden Vocals, die fast etwas gebetsartig wirken, werden bei mir Assoziationen von rituellen Zeremonien geweckt. "The Only True Philosophical Problem" besteht in der ersten Hälfte wieder aus (diesmal zeitlich etwas näher liegenden) jeweils einzeln angeschlagenen Akkorden auf der Gitarre inklusive verhallendem Delay. Ab der Hälfte kommen dann sich überlagernde Sprach-Samples hinzu, die sich nach der Aufnahme eines Radioprogramms bzw. einer Rede/Erläuterung anhören, deren Inhalt mir aufgrund mangelnder Sprachkenntnis meinerseits jedoch verschlossen bleibt. Im letzten Viertel bleibt das Klangerlebnis dann wieder nur auf Gitarre und Effekt-Nachbearbeitung beschränkt, wobei der Hall bzw. das Feedback nun stärker in den Vordergrund gestellt wird. Das folgende "Tucking In For The Collapse" ist eine reine Drone Ambient-Nummer mit einem weichen Beat, der fast im permanenten Wummern versinkt. "Dérive" ähnelt von den Vocals her "Abandon All Hope", allerdings wird hier wieder auf Beat verzichtet und der Rhythmus ist relativ ungleichmässig. Durchgehend präsent ist wieder ein dezenter Klangteppich aus Gitarren-Feedback und synthetischen Zusätzen. In "Unity With The Earthworms" wird es zum ersten mal laut auf diesem Album. Die ersten 5 Minuten sind geprägt durch drone-unterlegten, nach hauchender Stimme aus dem Jenseits klingende Sounds, dann wird ein vordergründiges, kreissägen-artiges Geräusch drübergelegt, das die restlichen ca. 3 Minuten dominiert. Mit dem letzten Track dieser Platte ist der gemächlich vorbereitete Klimax dann auch erreicht: hier wird man von einem, wieder drone-unterlegten, weissen Rauschen begrüsst, das sich durch das gesamte Stück zieht. Dies wird noch um eine von mir nicht näher identifizierbare Klangschicht erweitert, sowie um durchgehende, überlagerte Sprach-Samples. Normalerweise bin ich von Drone/Noise Ambient schnell gelangweilt und genervt, meistens hängt dies mit einer permanenten Trommelfell-Agitation durch den Einsatz relativ unangenehmer Frequenzen oder einer, wiederum beeindruckenden, Ereignislosigkeit zusammen. Gjöll schaffen es hingegen, dem Hörer nicht vor den Kopf zu stossen und mit rhythmisch ungewöhnlichen (weil uneinheitlichen) und klanglich sehr elaborierten Kompositionen das Interesse aufrechtzuerhalten.