Nur etwa eineinhalb Jahre liegen zwischen dem letzten Großangriff von Deutschlands wohl am kontroversesten diskutierter Electro-Band und deren aktuellem Album „Aviator“. Nach Beendigung ihrer „Navigator“-Mission haben die Hamelner das Unterseeboot verlassen und setzen ihre Reise nun folgerichtig in der Luft fort. Selbstverständlich bewegt man sich wieder in „kriegerischen Gefilden“ und arbeitet textlich und visuell Themen wie das Verarbeiten der historischen Vergangenheit und die persönliche Einstellung und Erinnerung an einschneidende, geschichtliche Ereignisse auf. Bemerkenswert sind die umfangreichen Marketing-Aktivitäten und Specials, die für dieses Release konzipiert wurden: Ab Mitte Februar funkten Jens Kästel und Gerrit Thomas in vier exklusiven, aber leider etwas steif wirkenden Videobotschaften die neuesten Informationen zum anstehenden Album sowie zur Tour an die Fangemeinde. Zusätzlich wurde einen Monat vor Veröffentlichung von Aviator der Song „City of Darkness“ als exklusiver Fan-Mix zum kostenlosen Download ins Netz gestellt. Seit einigen Tagen kann außerdem ein Funker Vogt Video Podcast abonniert werden (wir berichteten). Ab dem 27. April wird „Aviator“, dessen Cover, einmal abgesehen von der Farbgebung, spontan an die norwegische Flagge erinnert, in zwei Versionen im Handel angeboten: Zum einen als reguläres, 12 Titel umfassendes Album, sowie als Limited Edition, das zusätzlich zwei Bonus-Tracks sowie eine DVD mit fünf Titeln im speziellen 5.1 Format und einen Multimedia-Teil mit viel Bonusmaterial (unter anderem einem Videointerview sowie einem Trailer zum PC-Spiel „Grabenkrieg in Europa“, für das die Band den Hit „Killing Ground“ beisteuerte.) Zusätzlich erhält jeder Album-Käufer einen Gutschein für die die 3 Track-DJ-Promo „Club Pilot“, der auf den Konzerten eingelöst werden kann. Seit rund eineinhalb Wochen ist zudem die komplett überarbeitete und mit vielen Extras ausgestattete Homepage online. Hier wurden augenscheinlich alle Register gezogen, um das Erscheinen von „Aviator“ fest in den Köpfen zu verankern und den Verkauf anzukurbeln. Es wird also schwer, an diesem Album vorbeizukommen, heiße Diskussionen, sind, wie immer, wenn neues Material von Funker Vogt ansteht, vorprogrammiert. Da zur Rezension lediglich das reguläre 12-Track-Album vorliegt, können Bonustracks und DVD-Material nicht mit in die Bewertung einfließen. Seit jeher haben Funker Vogt damit zu kämpfen, dass ihre Beständigkeit und Stilsicherheit, um es einmal so auszudrücken, den Nährboden für stetige Kritik herrlich gedeihen ließ, andererseits aber wohl eine der treuesten Fanscharen herangezüchtet hat, die eine Electro-Band in diesem Land ihr Eigen nennen kann. Auf „Aviator“ einen musikalischen Quantensprung zu erwarten wäre Träumerei, wenngleich sich die Band in den letzten Jahren erfreulich weit über den eigenen Tellerrand hinausgelehnt hat und unter anderem sogar mit dem Einsatz einer E-Gitarre aufwartete. Auf „Aviator“ haben Gerrit Thomas und Jens Kästel wieder einen großen Schritt nach Vorne gemacht. Das Album ist zwar erneut ein „typisches“ Funker Vogt-Album geworden, unterscheidet sich aber dennoch essentiell von seinen Vorgängern. Keine der bisherigen Veröffentlichungen wartet mit einer solchen Bandbreite an Tempo- und Rhythmuswechseln, an Soundelementen und Klangbildern auf wie „Aviator“. Das Album glänzt mit einer Vielzahl an Details, die den Titeln das gewisse Etwas verleihen. Dennoch wurde die Grundstruktur, die absolute Eingängigkeit und Refrainlastigkeit der Songs beibehalten, die bisher ein Garant für volle Tanzflächen und das beständige Drücken der Skip-Back-Taste waren. Funker Vogt-Tracks sind seit jeher Ohrwürmer – auf „Aviator“ fliegen wieder eine Menge davon herum. Statt direkt mit der Tür ins Haus zu fallen, startet das Album mit dem ungewohnt langsamen und unheimlichen Intro „Welcome to destruction“. Dafür ist ab dem zweiten Titel wieder alles beim Alten: „Paralyzed“ ist ein knackiger, fett produzierter typischer Funker-Track mit einfacher Melodieführung und eingängigem Refrain. „Child Soldier“ startet mit einem kurzen, nur sehr schwer verständlichen Voice-Sample – eine Kinderstimme ist das aber nicht – und kommt dann ohne große Umschweife sofort zur Sache. Nachdem kurzzeitig bei einer prägnanten Synthiemelodie Assoziationen mit And One wach werden, entwickelt sich der Titel zu einer gelungenen Mischung aus gnadenlosem, wuchtigem Beatgewitter und ruhigen, fast schon melancholischen Parts, die den Song mit nachdenklicher Botschaft dann schließlich sanft ausklingen lassen. „City of darkness“ ist unverkennbar als Clubhymne angelegt. Die gerade noch im Midtempo-Bereich angesiedelten 130 bpm dürften dafür sorgen, dass so schnell keinem dunkel um die Augen wird. Mit „My fortune“ folgt umgehend ein ziemlich harter Kampf-Track mit Maschinengewehr-Beats. Bedenkt man, dass es bei diesem Titel um das persönliche Schicksal eines desillusionierten und hoffnungslosen Soldaten geht, mutet die „Vertonung“ fast schon grotesk an, unterstreicht aber einmal mehr die Grausamkeit und Gnadenlosigkeit des Krieges. Mit einem satten Techno-Sound und -Rhythmus startet „Hostile Waters“, das sich auf spannende Weise langsam zu einem für Funker-Verhältnisse fast schon als gemütlich zu bezeichnenden Track steigert, im weiteren Verlauf aber leider etwas unspektakulär bleibt. Allerdings wird man mit „Thanatophobia“ gleich wieder eines besseren belehrt, denn der Track, der mit seinen 144 bpm den Geschwindigkeitsrekord des Albums anführt, droht tatsächlich die heimischen Boxen zu sprengen. Dieser Titel ist aggressive Raserei pur und somit prädestiniert für die Tanzflächen. Als ob die Band den wild zuckenden Leibern und Beinen daraufhin Einhalt gebieten oder zumindest eine Verschnaufpause gönnen wollte, wird bei „Frozen in Time“ das Tempo auf irritierende Weise eingefroren, oder sagen wir, sehr stark heruntergefahren. Doch leider funktionieren derart reduzierte Geräuschkonglomerate mit balladeskem Anklang bei Funker Vogt nicht wirklich, auch wenn sich hier die Möglichkeit bietet, sich einmal mehr auf die Lyrics statt auf die Beats zu konzentrieren. „One“ greift den Faden von „Thanatophobia“ wieder auf und startet mit zackigen 140 bpm und einem sehr entspannten, flächigen und tranceorientierten Sound durch. Dass Charles Darwin, englischer Wissenschaftler, Naturforscher und Begründer der Evolutionstheorie, mit dem Titel „Darwin’s Nightmare“ einen Platz auf dem aktuellen Album gefunden hat, überrascht nicht wirklich, das revolutionäre Konzept des Darwinismus ist auf eklatante Weise zur perfiden Selbstvernichtungsstrategie der Menschheit mutiert. „Blind Rage“, ein denkwürdiges Resümée, dass kein Krieg die Menschheit jemals auch nur einen Schritt nach Vorne gebracht, wartet mit erfrischend modernen und neuen Soundelementen auf und wirkt fast schon poppig. Mit dem technoiden „Babylon“, das Jens Kästel vom militanten Shouter zum „singenden Roboter“ umfunktioniert, bläst zum guten Ende nochmals viel frischer Wind durch das Album! Ein ungewöhnlicher, mutiger Track, der das Konzept des klassischen Funker Vogt-Songs weit hinter sich lässt, und doch erkennbar Funker Vogt bleibt. Doch gerade ein Titel wie dieser sorgt womöglich dafür, dass der eingeschworene Fan verwirrt den Kopf schüttelt und vielleicht doch wieder zum Vorgänger-Album greift. Wer sich schon lange mehr Abwechslung und Experimentierfreude gewünscht hat, wird „Aviator“ schnell zur Dauerrotation verpflichten. Wer „alles wie beim Alten“ haben möchte, pickt sich gezielt die Kracher heraus. Kleine Ausreißer wie „Für Dich“ oder „Vorwärts“, die auf „Navigator“ noch ein unangenehmes Gefühl hinterließen, wurden diesmal glücklicherweise vermieden. „Aviator“ dokumentiert eindrucksvoll die gezielte und maßvolle Weiterentwicklung einer Band, die sich allen Kritikern zum Trotz hoffentlich niemals verbiegen lassen wird. Am Tag der Veröffentlichung starten die Funker ihre bis dato sechs Stationen umfassende Aviatour in Hannover. Wer mitsingen will, muss beim Auswendiglernen der Texte also recht schnell sein!