Etwa 1984 hat die Musikerkarriere von Bill Leeb begonnen. Der aus Österreich nach Kanada gezogene „Wilhelm“ war zu diesem Zeitpunkt Mitglied der legendären Skinny Puppy. Wenn ich mich nicht verrechnet habe, war der heutige Bandkollege Jeremy Inkel zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der Welt! Seitdem ist viel passiert. Ausstieg bei Skinny Puppy, Gründung der schon kurze Zeit später ebenfalls legendären Front Line Assembly, Riesenerfolg mit dem Nebenprojekt Delerium, weitere Spielwiesen wie Noise Unit oder Intermix und eine Karriere mit Höhen und Tiefen, Besetzungswechseln und einem sagenumwobenen „Auftritt“ beim WGT. Nicht zu vergessen eine beeindruckende Reihe von Clubkrachern und elementaren, wegweisenden Hammeralben. Nachdem FLA im Laufe der Jahre ein wenig die Orientierung verloren zu haben schien, scheint es der angesprochene Mitzwanziger Inkel zu sein, der dem Electro-Dinosaurier eine Frischzellenkur verpasst hat. Die gefeierte Vorab-Single „Shifting Through The Lens“ hat bei mir jedenfalls für sehr große Vorfreude auf das nun veröffentlichte Album „Improvied Electronic Device“ gesorgt. Los geht es mit dem Titeltrack und was wie eine Intro beginnt, entwickelt sich direkt zu einer aggressiven Walze mit einem Text der nicht wirklich Zuversicht versprüht. Dabei kämpfen die Beats mit den Gitarren um die Vorherrschaft. Es folgt mit „Angriff“ das Highlight der Vorabsingle und ich musste zugegebenermaßen schmunzeln, als ich den Text des deutschen Refrains im Booklet gelesen habe. Auch nach mehreren Durchläufen weiterhin ein echter Hammer. Und so geht es weiter. „I.E.D.“ bietet einen aufregende Achterbahnfahrt durch verschiedene Klangwelten. Einzelne Songs haben mehr Breaks, Überraschungen und Tempowechsel zu bieten, als sie auf vielen Alben in Summe zu finden sind. Herrlich auch der typische Leeb-Refrain in „Hostage“. Ganz in der Tradition der „Balladen“ aus Kanada steht „Afterlife“. Ein sehr intensiver und sehr persönlicher Song, auch wenn die Klasse von „Treshold“, „This Faith“ oder „Infra Red Combat“ nicht ganz erreicht wird. Auf jeden Fall der richtige Song um den Konsumenten runterkommen zu lassen, um Selbigen im Anschluss mit „Stupidity“ kompromisslos die Beide wegzutreten. Wie man den Interviews entnehmen konnte und wie man auch deutlich hört, hat hier der gute Al von Ministry/RevCo das Ruder übernommen. Kein Wunder also, dass dieser Song in der Geschwindigkeit einer Rakete daherkommt. Auffallend sind hier die Parallelen, denn auch Jourgensen hat sich unlängst junge Musiker für seine Bands an Bord geholt. Lobend erwähnt sei an dieser Stelle, dass die Gitarren auf „I.E.D.“ sehr variabel eingesetzt werden, wie auch der Gesang. Ein schönes Beispiel ist „Release“. Ein anfangs schleppender Song, der mit dem Refrain explodiert um am Ende atmosphärisch auszurollen. Ich möchte nicht auf jeden Song eingehen und damit die Spannung zerstören, kann aber versichern, dass „I.E.D.“ keinen Ausfall enthält. Das gilt auch für das instrumentale Finale mit dem bezeichnenden Namen „Downfall“. Denn positive Texte sind das wahrhaftig nicht. „I.E.D.“ ist ein ganz starkes Album geworden. Natürlich kann man als Käufer der Vorabsingle etwas geknickt sein, dass die beiden Hauptsongs auch auf dem Album vertreten sind. Aber die Klassiker von FLA hatten ja teilweise auch „nur“ acht Tracks. Und wo wir schon dabei sind. Ich würde nicht soweit gehen und vom besten Album der Bandgeschichte sprechen. Dafür fehlt mir teilweise der letzte Kick. Den Vocals mangelt es aus meiner Sicht weiterhin an der letzten Schärfe im Vergleich mit „Gun“ etwa. Aber es ist das beste FLA Album seit langer Zeit und aktuell gibt es nur sehr, sehr wenige Veröffentlichungen, die „I.E.D.“ das Wasser reichen können. Pflichtkauf.