In der Info zu vorliegender Scheibe beschreibt Frank Hall, Komponist dieses Soundtracks zum isländischen Horrorfilm ‚I remember you‘, dass er diese Form der Intonierung direkt im Sinn hatte, als er das Drehbuch las. Er zog sich während in düsteren Wintertagen zurück in ein düsteres, verlassenes Industriegelände Reykjavíks in ein größtenteils düsteres, verlassenes Studio und erschuf einen düsteren, minimalistischen Soundtrack, der sich nun folgender Frage stellen muss: Kann die Musik auch für sich stehen?

Denn geht es um Soundtracks, die (größtenteils) aus eigens für einen Film oder ein Spiel komponierter Musik besteht, so trage ich folgenden Gedanken in mir: Ich bin kein Freund von jenen Alben, die eigentlich keinen größeren musikalischen Mehrwert haben, als denjenigen, Erinnerungen an bestimmte Szenen/Momente hervorzurufen. Ja, oft funktionieren sie sehr gut mit den Bildern zusammen, den transportierten Emotionen und der Dramatik. Dann kann die Musik die Wirkung verstärken, dann ist sie effektiv. Aber in meinen Augen muss ein Soundtrack eigenständige Kraft haben, um empfehlenswert zu sein. Entfernt man sich also vom Film ‚I remember you‘, der 2017 als solider bis guter Indie-Streifen wenig Furore, aber immerhin einige wohlwollende Kritiken einfuhr, so bleibt ein Horror-Soundscape oder Ambient Soundtrack, der sich zum Beispiel mit der Arbeit von Kammarheit, Dolorism oder N.Strahl.N vergleichen lässt. Nicht rituelle Finsternis und schamanische/folkloristische Instrumentierung werden hier geboten, sondern Ohrenschmaus aus unwirklichen Geisterwelten. Von minimaler Klanglandschaft zu sprechen wäre fast schon euphemistisch. Dumpf pulsierende Herzgeräusche, entrückte Percussions, bedrückend verhallte Bläser und später auch Pianoklänge, die Fragmente von Melodien spielen. Oft erinnern mich die Stücke an einzelne Elemente der Silent Hill Soundtracks, eine düstere Bedrohung, unwirkliche, alptraumhafte Bilder tauchen auf. Insoweit funktionieren Frank Halls Kompositionen durchaus für sich und benötigen den Film nicht unbedingt, gerade in Momenten, wie zu Beginn von „Kjallarinn“, wenn kurz natürliche Bläserklänge beruhigen und dem Hörer dadurch klar machen, wie angespannt er vorher war. Schwieriger erscheint es mir hingegen, die Frage zu beantworten, ob das Album in der Masse von Dark Ambient Veröffentlichungen aufleuchtet oder untergeht.

Dafür sprechen in meinen Ohren, die durch die Bläser erzeugten, warmen Zwischentöne in der grundsätzlich bedrohlichen Stimmung. Der geringe Einsatz von Percussions, der bei ach so vielen Akteuren rituellen Charakter schafft aber gleichzeitig häufig zu einem sehr ähnlichen Klangbild führt, sorgt für eine fieberartigen Unbestimmtheit. Insgesamt gibt es viele wirklich bedrückende Momente, bei denen die Stimmung den Hörer packt und in die Düsternis hinabzieht. Es gibt aber auch Dinge, die meinen Hörgenuss trüben und die stark mit dem Fakt zusammenhängen, dass es sich um einen Soundtrack handelt: Nehmen wir das Stück „Kjallarinn“, das mir neben „Sigling“ und das an den Alien OST erinnernde „Hvalstöðin“ am Besten gefällt. Eine intensive Stimmung, mit Zeit aufgebaut und das Ende dann vollkommen abrupt, ich vermute, da die Szene nicht mehr Spielzeit erforderte. Und auch die Abfolge der Stücke, die Wechsel zwischen ruhigen Nummern und finsterem Horror sind nur im Zusammenhang mit dem Film gut nachzuvollziehen – ein reines Dark Ambient Album würde da intuitiver die Musik fließen lassen, ohne dass ein Vorwissen des Hörers die Brüche verständlich macht. Das abschließende Stück "Móðir mín í kví kví (My Mother In The Sheep Pen)", das inhaltlich gut zur Handlung des Filmes passt, ist dann schließlich einerseits ein musikalischer Bruch, andererseits keine große Überraschung. Eine Volksweise, von einem Chor vorgetragen, ist wahrscheinlich neben einem unschuldig vorgetragenen Kinderlied eines der häufigsten Mittel, um einen Horrorfilm noch gruseliger zu gestalten. Ja, das Lied und die bedrohliche Umsetzung sind wirklich gut, aber auch da wieder: im Zusammenhang mit dem Film als Titel- bzw. Abspannmelodie stimmig, auf einem unabhänigen Album aber eher ein Störfaktor am Ende.

‚I remember you‘ ist grundsätzlich ein gutes Album, gefällt mir zugegebenermaßen auch besser als der Film selbst. Gerade das Klangbild wird durch den weichen Bläsersound in finsterer Nacht opulent und beunruhigend beruhigend beeinflusst. Das Schwierige für mich ist hier die Tatsache, dass es sich um einen Soundtrack handelt: Zum einen ist der Film viel zu vernachlässigbar, um wirklich starke Assoziationen zwischen Klang und Filmmomenten zu entwickeln. Für ein reines Musikalbum, zum anderen, sind es aber die Soundtrackelemente, wie die kurze Spielzeit einzelner Tracks und die nicht immer harmonisch ineinanderfließende Reihenfolge der Stücke, an denen ich mich störe. Ein Reinlauschen kann sich für Freunde düsterer, dystopischer Soundscapes dennoch empfehlen, vor allem, um zu entscheiden, ob die Wirkung der Instrumente ausreicht, um Begeisterung zu entwickeln.

 

Frank Hall

I Remember You (Óskar Thór Axelsson) O​.​S​.​T.

 

04.12.2020

Cold Spring

 

https://coldspring.bandcamp.com/album/i-remember-you-skar-th-r-axelsson-o-s-t-csr287cd

 

01. Intro
02. Sigling
03. Hesteyri
04. Kjallarinn
05. Bernodus I
06. Lækurinn
07. Reykjavik
08. Benni
09. Hvalstöðin
10. Montage
11. Bernodus II
12. Freyr
13. Endir
14. Móðir mín í kví kvi