Und Herbst. Lang ist es her, daß die stürmische Böen die letzten verdorrten Blätter mit sich gerissen, zusammen mit kaltem Regen über das Land getrieben und schließlich fallenlassen haben, weit weg, irgendwo, wo sie nur der Winter zu finden vermag - der Winter, dessen Nähe fast schon greifbar ist, hier im kalten, weißen Nebel, den gelegentlich nur die Skelette kahler Bäume durchdringen, schwarz und schroff wie bizarre, in der Bewegung gefrorene Wesen aus den unfaßbaren Welten von Poe und Lovecraft. Dies ist der Herbst, das Sich-Weiterdrehen des Rades der Jahreszeiten, das Verdorren der Blüte auf dem Weg in die Dunkelheit, die notwendig ist, damit überhaupt jemals wieder Neues zu entstehen vermag. Dies ist der Herbst, und seine Schönheit wird sich all jenen nicht erschließen, die auch die Blüte des Sommers nur zu schätzen wissen, wenn sie ihre bleichen Leiber unter der Sonne rotbraun rösten können, und denen Tage des Regens und der Wolken ein unaussprechlicher Greuel, eine widrige Unterbrechung dessen sind, was in ihrer oberflächlichen Betrachtung das "Schöne" ist. Dies ist der Herbst, kühl und umfassend, verdorrt und trotzdem lebend, wie der kleine blaue Schmetterling, der sich seinen Weg durch den Nebel sucht, ein Anachronismus an diesem Tage, ein Farbtupfer nur, und trotzdem der Anbeginn von etwas Neuem, Wunderbarem? Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber nun hat auch das Jahr 2004 eine CD, die ich mit gutem Gewissen als das "Herbst-Album des Jahres" bezeichnen kann; in diesem Jahr geht dieser Titel an "dark clouds in a perfect sky" der liechtensteiner-schweizer Formation ELIS, und diese Platte hat den Titel verdient wie kaum eine andere davor. Ich muß zugeben, daß ich bei der Bezeichnung "Gothic Metal" seit geraumer Zeit äußerst skeptisch werde - zu oft haben sich Bands dieses Genre auf die Fahne geschrieben, um eher uninspirierten Metal mit schwülstigem Keyboard-Geblubber und pseudo-elfenhaftem Damengesang zu einer klebrigen Soße zu verquirlen, die sowohl mit "gutem" Gothic als auch mit richtigem Metal so wenig zu tun hat wie das Gros des deutschen Radioprogramms mit Musik. Insofern bleibt erfreulicherweise festzustellen, daß ELIS diesbezüglich gekonnt und mit scheinbarer Leichtigkeit auf einer ausgesprochen scharfen Kante tanzen, ohne abzurutschen oder im Fall zerschnitten zu werden. Im Grunde ist es relativ simpel: Nehmt Nightwish oder Within Temptation (also zwei Namen, die mittlerweile durchaus auch außerhalb der Metal-Szene ein Begriff sein könnten) als Vergleich. Und dann stellt Euch eine Band vor, die musikalisch in diesselbe Kerbe haut, aber alles, was sie tut, intensiver, stilvoller, besser tut, die musikalisch irgendwie einfach "mehr" ist. Dazu gehören verzerrte, druckvolle Metal-Gitarren und eine Rhythmus-Sektion, die genug Energie überträgt, um Wände niederzureißen und Nachbarn in den Wahnsinn zu treiben, dazu gehören technisch versierte Gitarrensoli und die Fähigkeit, diese sparsam und clever genug einzusetzen, daß sie in die Songs passen und nicht (wie im Metal leider nur allzu oft zu hören) augen-/ohrenscheinlicher Profilierungssucht ihrer Erzeuger entspringen; dazu gehören aber auch große Keyboard-Arrangements, sphärische Melodieführungen und der traum-hafte Gesang von Frontfrau Sabine (die mir über weite Strecken stimmlich wie eine äußerst angenehme Mischung aus Nightwish-Tarja und Prog-Rock - Göttin Lana Lane vorkommt). Und dazu gehört auch ein beeindruckendes, auf der ganzen Linie überzeugendes Songwriting: Auch hier balanciert die Band geschickt zwischen brechend-heftig und zerbrechlich-emotional, zwischen wuchtig-bombastisch und geradlinig,krachig, und generiert dabei Tracks wie "heart in chains" (druckvoller Uptempo-Song mit interessanten Vocals und sehr starker Gitarrenarbeit), dem Opener "der letzte tag" (wuchtig, bombastisch, ausgefeilt), "devil inside you" (düster, schleppend schwer) oder "anger" (sehr abwechslungsreich irgendwo zwischen balladesk und heavy). Apropos balladesk: Wer die letzten Jahrzehnte Geschichte härterer Musik zumindest hinsichtlich der wichtigsten Veröffentlichungen halbwegs kennt, der weiß, daß kaum Bands in dieser Stilrichtung in der Lage sind, Balladen vernünftig zu inszenieren, ohne in schließlich in seichter Bedeutungslosigkeit zu versanden. Selbst an diesem Punkt können Elis für sich verbuchen, mit den balladesken Tracks auf "dark clouds in a perfect sky" zumindest um eine ganze Länge besser zu sein als das, was vergleichbare Bands derzeit ihrem Publikum anbieten. Fazit: Sechs von sechs für ein originelles, kreatives frisches Album, welches aus einer ansonsten eher weniger überzeugenden Musikrichtung meilenweit herausragt (und, nach Draconian und Visions Of Atlantis, einmal mehr das sehr sichere Händchen von Napalm Records beim Aufgreifen überdurchschnittlich fähiger Bands unter Beweis stellt). Wer Nightwish, Within Temptation oder aber auch etwa Savatage zu "gutter ballet" - Zeiten zu seinen Favoriten zählt, der darf hier absolut bedenkenlos zugreifen; wer sich für 2004 vorgenommen hat, nur eine Metal-CD zu kaufen, der kann mit "dark clouds in a perfect sky" eigentlich auch nichts falschmachen. Und an all jene, die sich wie ich auf einen "richtig" schönen Herbst freuen: Player auf, CD 'rein, treibenlassen... Grandios! Vorab gibt's den Video-Clip zu "der letzte tag" auf der Elis-Website...