Wahrscheinlich darf man nicht einfach aus dem nichts auftauchen und dann ein verdammt gutes Album mit Sounds der frühen 80er einspielen. Gewiß wäre das zu uncool und vor allem nicht werbeträchtig. Deswegen könnte ich nun die Pressetextfragmente über Herrn Matts langjährige Erfahrung als Solomusiker und Songwriter anführen. Dann wäre da noch die Freundschaft zum Produzenten von Wolfsheim und Joachim Witt. Oder wie wäre es mit der Anekdote über die Berliner Band The Rescue Mission (Denny Hellbach und Stefanie Sagert), die von Kraftwerk einen Synthesizer aus den 70ern erhielten und nun zusammen mit ihren Freund Elias Matt den Sound der damaligen Zeit aufleben lassen wollen? Natürlich nur mit Orginalinstrumenten deren Baujahr nicht die Grenze 1984 überschreitet. All dieses Wisses hat mich sicherlich 3 Hördurchläufe gekostet und um ein Haar meine Objektivität, denn nach der Ladung heißer Luft hatte ich null Lust auf "Achtung Alpha". Herrje, um ein Haar hätte ich die in meinen Augen schönste Popplatte der letzten Monate genervt abgehandelt... Aber das Debut der drei Berliner ist einfach zu sympathisch. Man hört das Album und denkt sich, dass es ganz nett ist. Aber wenn man dann tagelang die Refrains im Kopf mit sich herumträgt weiß man, dass da viel Talent und Freude dahintersteckt. "Achtung" macht den Anfang – ein gewöhnungsbedürftiges Intro, dass mit den Zeilen "try to stay healthy by the border line" auf Elias Erfahrungen mit der Welt der Psychiatrie hinweisen will. Nicht zum letzten Mal. Doch der eher durchschnittliche Einstieg in das Album verblasst sehr schnell. Denn mit "No no no" folgt ein wundervolles Pop-Wave-Duett zwischen Elias und Stefanie das vieles zeigt: 1. grandiose Melodie 2. niedlich eingängiger Refrain 3. ein herrlicher Text 4. Elias singt sehr angehm. Mehr als ein handelsübliches Überraschungsei hat das Album also allemal zu bieten. Also bitte weiterlesen. Leider folgt mit "too young for the big sleep" der Song, der die einzigen Makel der Band am deutlichsten offenbart: Die Stimme von Stefanie ist an vielen Stellen zu niedlich, fluffig, quietschig, hoch (auch wenn sich das über die Dauer des Albums deutlich bessert) und die Band hat einen Hang zu nicht enden wollenden Ausklängen – und das gerade bei einer Musikrichtung, die von knackiger Prägnanz lebt (außer man heißt Soft Cell und die Leute tanzen auch zu Minute 52 von "Tainted love"...). Es folgen 2 sehr schöne Popnummern, die zeigen, dass die Berliner es verstehen, fluffige 80er Sounds mit interessanten und zum Teil nicht unbedingt eingängigen Elementen zu kombinieren. Da wird dem Synthesizer mal etwas Schräges entlockt, immer wieder stellen finden sich verzerrte und veränderte Sprachschnipsel – kurz, es ist kein aalglatt produziertes Popwölkchen. "European decadence express" startet in den starken Block des Albums. Wahrscheinlich würde jeder das Stück mit dem an Kraftwerk erinnernden Vocoder-Gesang sofort in die Zeit zwischen 1980 und 85 einordnen und sich wundern, warum man so ein Juwel nicht kennt. Und das folgende "European decadence" legt noch einmal eine Schippe zu. "Take a bath, wash your bones, with european decadence. The only thing we have is the art of being great: Some trouble, man? Aufrecht gehn! You have to stay rich" Großartig. Und auch großartig vorgetragen – ich werde die Melodie nicht mehr los. Das folgende "chocolate cloud" versöhnt dann auch mit der Stimme von Stefanie, denn bei ihrer Solonummer singt sie wesentlich entspannter und besser - und das ist auch gut so, denn so kommt die ruhige Melodie gut zur Geltung. "Things you shouldn't think about" lässt Elias Matt wieder sehr viel Raum: Sowohl textlich als auch gesanglich eines der stärksten Stücke des Albums. Entspannung wird zum Motto, denn die beiden folgenden Nummern beschließen das Album würdig in ruhigem Tempo. Als kleinen Bonus darf man sich dann noch eine Wave-Variante des The Smith Klassikers "There is a light that never goes out" anhören die, Morrissey möge es mir verzeihen, mir wirklich gut gefällt. Sehr ruhig und zurückgenommen. Analog, altmodisch und alles andere als schlecht. Hier ist nichts überproduziert oder geschönt. Jeder Ton ist wohlüberlegt auf dem Album und es zeigt sich, wie spannend minimale Pop-Wave-Musik sein ohne dabei die mitreißenden Refrains auszulassen. Mein Herz hat das Album trotz stimmlichen Manko des weiblichen Parts und der ein oder anderen Länge erobert. Für ein Debut wirklich eine starke Leistung, die keine Vorgeschichten benötigt – hier begeistert der Inhalt.