e.s.r. sagt mir auf Anhieb leider nichts, aber Track Nr. 9 dieses Albums habe ich doch schon mal gehört. Ein kurzer Blick zum CD-Regal, Abteilung Sampler. Bingo! "Black out" war als exklusiver Remix schon auf der High Voltage III – Compilation erschienen. Zugegeben war mir dieser Song damals auf der CD nicht wirklich aufgefallen – im Gegensatz zu manch anderen Titeln. Der zweite Longplayer des Franzosen Vincent "Vince" Pujol ist jedoch im Ganzen recht bemerkenswert. Mit seinem Dark Electro-Projekt e.s.r., das sich ausgeschrieben Electro Synthetic Rebellion nennt, geht Pujol sowohl musikalisch als auch textlich-gedanklich seinen ganz eigenen Weg. War das 2001 erschienene Debüt "Distorted Visions" schon sehr positiv aufgenommen worden, schafft es "Corroded Fragments" sicher ebenfalls, eine erfreute Fangemeinde zu finden. Fernab von Future-Pop-Klischees und stumpf hämmernden Beats kommen die Songs ohne allzu große Electro-Härte aus und setzen mehr auf abwechslungsreiche Synthie-Läufe und Melodiebögen. Ausgesprochen düster und mit einer guten Portion unterschwelliger Aggressivität könnten einige Tracks durchaus auch den Synthesizern von God Module und Decoded Feedback entsprungen sein, von der Ähnlichkeit der verzerrten, wispernden Stimme Pujols zu der von Jasyn Bangert (God Module) mal ganz abgesehen! Besonders angenehm wirken in diesem Zusammenhang auch die zwar spärlich, aber gezielt eingesetzten weiblichen Vocals (z.B. Psychicold-Remix von "Final Rebellion"). Bei einer Länge von viereinhalb bis über fünf Minuten mögen manche Songs auf Anhieb zwar etwas langatmig und vor sich hinplätschernd daherkommen, doch der musikalische Teufel steckt bei e.s.r. im Detail. Die Songs sind ausgesprochen vielschichtig aufgebaut und mit jedem Hören entdeckt man mitunter neue musikalische Facetten und Rhythmus-Strukturen, die vom Industrial bis hin zum Trance reichen. Was "Corroded Fragments" auszeichnet ist seine bedrückende, dichte Atmosphäre, der man sich nur schwer zu entziehen weiß, läßt man sich entsprechend auf das 78 Minuten (!) lange Album ein. Neben 10 neuen Songs sind auf "Corroded Fragments" noch weitere 5 Remixe enthalten, unter anderem von Noise Process und Muckrackers, die den Tracks dann letztlich doch noch ein tanzbares und sehr treibendes Electro-Gewand verpassen. "Free my soul", "Final Rebellion" (Insurrectional Remix) und besonders "Losing Control" avancierten schnell zu meinen persönlichen Favoriten. Sehr gelungen ist ebenfalls das metallisch-maschinell wirkende Artwork, das die Musik von e.s.r. optisch gut zu unterstreichen weiß. Meines Erachtens eignen sich die Songs dieses Albums nicht so sehr als Tanzflächenfüller, sondern eher als intensives Hörerlebnis oder als angenehme, weich fließende Hintergrundbeschallung, wenn man sich nicht mit den durchdachten und kritischen Texten Pujols auseinandersetzen möchte. Mit einer fast inbrünstigen Überzeugung – ohne jedoch politisierend zu wirken – verarbeitet er futuristische, alptraumhafte Visionen einer Welt der Zukunft und möchte damit "jegliche Form von Gewalt, Unterdrückung, Folter (physischer und seelischer Schmerz), mentale Manipulation, Unterwerfung, Verschwörung der Stille und politische Heuchelei" aufdecken – so das erklärte Ziel des Franzosen, das sich ja schon im Namen seines Projektes ausdrückt. Vince Pujols Credo: "Die Zukunft (und auch die Gegenwart) ist das, was wir daraus machen, es ist nur eine Frage des Bewußtseins, des Respekts und des Verantwortungsgefühls. Wir müssen uns Gedanken über die Welt machen, die wir den kommenden Generationen hinterlassen." Ein Statement, dem ich mich nur anschließen kann!