Nanu, fast gleichzeitig zwei Veröffentlichungen auf verschiedenen Labels? Was wie ein Kraftakt des spanischen Duos Eldar aussieht, relativiert sich auf den zweiten Blick etwas, denn im Gegensatz zum ebenfalls im Mai 2010 vorgelegten Album „Amesha Spentas“ (erschienen bei Cold Meat Industry) ist der hier besprochene Longplayer „Amaterasu Shiroi“ eine Zusammenstellung älterer Demoaufnahmen von den vergriffenen Alben „Ama Terasu“ und „Solve Et Coagula“ aus 2007/2008. Trotzdem hat man darauf verzichtet, die Tracks einfach wieder auf eine CD zu pressen, vielmehr wurden lt. Infoblatt „nahezu alle [...] Instrumente und Gesangsspuren [...] neu aufgenommen [...] Sounds und Samples verändert oder hinzugefügt und die Songs neu editiert.“ Inwieweit dadurch nun tatsächlich andere Klänge entstanden sind, kann ich mangels Kenntnis der Originale nicht abschätzen, deshalb beschränke ich mich auf die Beurteilung dessen, was im Jahre 2010 aus den Lautsprechern schallt. Wie bei „Amesha Spentas“, wo auf die Werke des Malers Francisco de Goya Bezug genommen wird, was übrigens beim Auftritt auf dem WGT 2010 visuell sehr ansprechend umgesetzt wurde, liegt „Amaterasu Shiroi“ ebenfalls ein durchgehendes Thema zugrunde. Dieses behandelt die Wechselwirkung zwischen Philosophie und Gesellschaft bzw. den Mißbrauch ersterer und widmet sich denjenigen, die dagegen ankämpfen. Als Hoffnungsträgerin wird dazu die Shinto-Sonnengöttin Amaterasu angerufen, was die ungewöhnliche Betitelung des Albums erklären mag *). Dennoch gestaltet es sich schwierig, jenen roten Faden in der Musik auszumachen. Das ganze wirkt sowohl in der Zusammenstellung als auch innerhalb der Songs oft wie Stückwerk und trotz der erwähnten Überarbeitung scheinen viele Titel über das Demo-Stadium immer noch nicht hinausgekommen zu sein. Schwankend zwischen Dark-Ambient und Martial-Industrial gelingt es weder mit dem einen, noch mit dem anderen Stilmittel so recht, die gewünschte Stimmung zu erzeugen. Es fällt mir an dieser Stelle schwer, das an konkreten Beispielen festzumachen, eines ist jedoch auf jeden Fall die stark verzerrte Gesangsstimme des männlichen Teils Marc Merinee, die oftmals zu aufgesetzt „böse“ daherkommt. Insbesondere das melancholische „Dibus Deabus Deseri“ oder das aufrührerisch trommelnde „Enduelico Nebo Kar“ würden durch einen natürlichen (Sprech-)Gesang deutlich an Glaubwürdigkeit gewinnen. Auch die rein instrumentalen Titel gehen nicht wirklich in die Tiefe, sondern muten allzu häufig wie strukturlos aneinandergereihte Töne an, was zwar im Ambient nicht ungewöhnlich ist, bei manchen Genrekollegen aber schon deutlich fesselnder zu vernehmen war. Ausbrüche aus dem Einerlei wagen lediglich „Arconi Radgost Inda“, wo Merce Spica zu Gewehrsalven(?) und Chören den Text mit unverfälschter Stimme rezitiert, sowie „Yaincoa Flintz Egis“, wo sich die von Trommeln aufgebaute Dramatik ganz gut mit den verfremdeten Vocals Marc Merinee's verträgt. Zweifellos vermittelt „Amaterasu Shiroi“ einen falschen Eindruck vom eigentlichen Können der Band. Deshalb würde ich allen neugierigen Hörern, die Eldar nicht kennen, dringend raten, als erstes zu aktuellerem Material der Alben „Amesha Spentas“ oder „Sapere Aude“ zu greifen, welche sich wesentlich geschlossener und zugänglicher präsentieren. Für Fans allerdings könnte der Silberling interessant sein, um die Entwicklung eines Projekts, das den Zenit seines Schaffens sicherlich noch nicht erreicht hat, nachzuvollziehen. --------------------------------------- *) Auf der Innenseite des Digipacks heißt es dazu wörtlich: „This album is based on the relationship between philosophy and society. In its continual struggle to control its fate, humanity uses philosophy to guide society, unlike animals that only use brute force to assert themselves. At other times, it is used for personal purposes and to lead the masses. There is a divine spirit behind the philosophy, but it is used for diabolical purposes. This work is dedicated to all those who have fought and are still fighting for philosophy to become a social ideal and the only way for humanity to evolve. We pray to the deity Amaterasu to make this possible.“