Gehuldigt sei den Großmeistern des progressiven Metal! Auch wenn diese Scheibe schon einige Monate auf den Buckel hat, wäre es eine Schande solch ein Werk zu ignorieren: Die Rede ist von „Systematic Chaos“ von Dream Theater. Nachdem die Ikonen des Prog-Metals mit ihrem letzten Album „Octavarium“ einen Ausflug in pop-rockigere Gefilde unternahmen, kann schon jetzt gesagt werden. Es wird wieder gerockt! Bereits der Opener glänzt mit perfektem und intensiven Gitarrenspiel, welches zunächst im Mittelpunkt steht. Über fünf Minuten wird Gefrickelt was das Zeug hält, dabei vermischen sich im Laufe der Zeit die Gitarren mit harmonisch zusammenspielenden Drums und Keyboards – dies zu Entknoten ist schwer, doch einem wundervollen Gitarrensoli gelingt es. Sänger (Kevin) James LaBrie hört sich das nicht mehr länger an und springt nach über fünf Minuten auf die Bühne um das systematische Chaos zu beenden. „Forsaken“ kommt da schon eingängiger daher und überzeugt mit wundervollem und gefühlvollen Gesang, präzise eingesetzten Keyboards und druckvollen Gitarren. Ein Leckerbissen aller erster Kanone, der perfekt den Spagat zwischen anspruchsvollem Metal und eingängigen Pop-Rock meistert. Härter geht’s bei den folgenden „Constant Motion“ und „The Dark Eternal Night“ zur Sache. Während die erste Single (zum Video) vor allem im Refrain ungewohnt aggressiv daherkommt und LaBrie streckenweise an James Hetfield erinnert, überzeugt „The Dark Eternal Night“ mit Synthesen der etwas anderen Art. Da treffen Sounds, die einem Charlie Chaplin Film entsprungen sein können, auf Pantera-mäßige Mörderriffs – nur teilweise unterbunden von LaBrie der mit seiner wellenglättenden Stimme den Sturm der Instrumente für einige Momente zum leichten Lüftchen werden lässt. Nach soviel systematischen Chaos nimmt „Repentance“ den Fuß vom Gas und verbreitet depressive und schwermütige Stimmung – Pink Floyd lassen grüßen. „Prophets of War“ – klare und an Muse erinnernder Voices, zauberhafte Keyboardarrangements, Akustikgitarren und und und. “Time for change - Fight the fear - Find the truth -Time for change”. Es passiert in sechs Minuten mehr als bei vielen Bands innerhalb 60 Minuten. So muss anspruchsvoller und trotzdem eingängiger Prog-Rock klingen. Bereits die Eröffnungsmelodiebögen von „The Ministry of Lost Souls“ rauben einem den Atem, gefühlvoll, atmosphärisch und über jeden Zweifel erhaben – „Remember Me? - I gave you life“ – zwischendrin munteres Gefrickel, welches auf den grandiosen Abschluss vorbereitet. Eine viertelstündige Achterbahn der Gefühle. Aufwühlend und zum Hinknien schön, voller Emotion und niederschmetternder Leidenschaft – im richtigen Moment tut es fast schon weh : “It's time - I release you from this life - Don't turn your back on paradise”. Beim grandiosen 16minütigen Abschluss "In the Presence of Enemies Pt. 2" darf jeder noch mal zeigen, was er auf dem Kasten hat: Treibende Drums, Gitarrensoli am laufenden Band, Geschwindigkeitswechsel, Breaks noch und nöcher – Abwechslung in Reinkultur. Leidvoll intoniert LaBrie die letzten Zeilen „My soul is my own now - I do not fight for you - Dark Master” und beendet somit ein außergewöhnliches Album. Pink Floyd auf Metal? Was nur auf den ersten Blick zu Augenwischen führen dürfte, gelingt den New Yorkern mit Bravour. Auch wenn gelegentlich popige Elemente zu Ohren treten, überwiegen eindeutig die rockigen und metallischen Anteile. Songs wie „Forsaken“ oder das epische „The Ministry of Lost Souls“ verzaubern vom ersten Hören an, was eigentlich bei progressiver Musik unmöglich erscheinen sollte. Dream Theater vollbringen dieses Kunststück mit hörbarer Leichtigkeit. Wenn ich die Gabe der Höchstnöte nicht aus romantischen Gründen ablehnen würde, wäre hier eine 6 angebracht. Pflicht für alle anspruchsvollen Musikliebhaber!!!